"Fluchtachterl in der Hafenbar": Heitere Poesie – auch wenn die Welt zu Ende geht

Mit der Fußnote auf dem Programmzettel wird die Worterklärung gleich dazu geliefert: "Ein Fluchtachterl ist ein letztes Glas im Stehen, ein Absacker", heißt es da. Das ist nur zunächst eine zufriedenstellende Erklärung, denn der Begriff ist so österreichisch wie Heuriger Wein, steht aber im Zusammenhang mit einer Hafenbar.
Unsere alpine Nachbarrepublik ist, zumindest seit 1918, nicht bekannt für seine Häfen. Andererseits ist "Fluchtachterl in der Hafenbar" das diesjährige Sommerprojekt des Tams-Theaters, wo das luzide Seltsame traditionell sein Zuhause hat.
Der Absacker findet im Miramare statt, der Bar mit Meeresblick, die in der Garage des Schwabinger Theaters mit Blick auf die Haimhauser Straße aufgeschlagen ist. Catalina Navarro Kirner, zum Beispiel, serviert hier, die als gebürtige Mallorquinerin auf Spanisch parliert. Sogar die in Kiel geborene Sophie Wendt klingt auf Italienisch sehr überzeugend.
Nach dem Fluchtachterl trifft man das Servicepersonal im Innenhof wieder bei "drei Paar Bier", einem großen Topf Spaghetti oder beim Musizieren, wobei die Besen oder die Bierkästen ebenso stimmungsvoll zum Klingen gebracht werden wie eine lila Ukulele, die der Musiker Severin Rauch zupft.
Maritimes Treiben in und auf den Zuschauerreihen
Man denkt nach über die 364-fache Wahrscheinlichkeit, ein Ungeburtstagsgeschenk bekommen zu können im Vergleich zu einem Geburtstagsgeschenk oder eine nicht nur vom Glück besoffene Schauspielerin schwärmt: "Champagner, Nacht und nicht weiter denken – das ist der Himmel".
Die elegante Architektin, gespielt von Irene Rovan, empfiehlt unterdessen, sich das ganze Gemäuer einmal wegzudenken, um freie Sicht auf das Meer zu haben. Dieses ist der Schauplatz des dritten Teils: Von der Bühne aus verfolgt das Publikum maritimes Treiben in und auf den Zuschauerreihen.
Hier erhält die Inszenierung von Lorenz Seib, der selbst zum Darsteller-Quintett gehört, eine bittere Note, wie sie für das Tams-Sommertheater neu ist. Zu Severin Rauchs traumhaft schwebender Perkussion treiben Plastiktaschen durch die Meere, die einen gefährlich haifischmäßígen Fresstrieb entwickeln. Robert Gernhardt wird zitiert: "Und es kommen Tiere aus der Tiefe. Tiere die, wenn man sie riefe, schweigend in der Tiefe blieben".
Aber im Schwabinger Sommer ist auch das Ende der Welt nicht ohne heitere Poesie: "Die Welt geht unter", singt die Truppe am Schluss in einem Chanson zur Gitarre, "aber nichts geht so schön unter wie die Sonne".
Tams-Theater, Haimhauserstr. 13a (Münchner Freiheit), wieder am 23., 25., 26., 28. Juni, 1., 2., 6. bis 9., 13. bis 15., 20. bis 23. Juli, 20 Uhr, Karten unter Telefon 345890