"Finsternis": AZ zeichnet Schauspieler Robert Dölle aus

Robert Dölle hat den AZ-Stern als bester Schauspieler des Jahres erhalten. Am Samstag steht er wieder auf der Bühne des Residenztheaters.
von  Mathias Hejny
Robert Dölle mit seinem AZ-Stern.
Robert Dölle mit seinem AZ-Stern. © Sigi Müller www.augenblick-fotografie

München - Üblicherweise verleiht die Abendzeitung Anfang Februar ihre Jahressterne für Herausragendes in der Kultur bei einer Gala im Lustspielhaus. 

"Finsternis": Ein Mann auf der Suche nach dem Sinn seines Lebens

Doch auch in diesem Jahr fiel die Party wegen Corona aus. Stattdessen trafen wir den Preisträger als bester Schauspieler in der "Schönen Aussicht", dem von strahlender Vorfrühlingssone durchfluteten oberen Foyer des Residenztheaters. Hier gehört Robert Dölle seit 2019 zum Ensemble und tritt an diesem Samstag in Judith Herzbergs Familiensaga "Die Träume der Abwesenden" auf.

Bei dieser Gelegenheit wird er Regisseur Stephan Kimmig, der die Vorstellung besuchen wird, dessen Trophäe überreichen, denn die Kulturredaktion der AZ zeichnete die fünfstündige Trilogie aus den Stücken "Leas Hochzeit", "Heftgarn" und "Simon" gleichfalls mit dem Jahresstern aus. Dölle erhielt seine Auszeichnung allerdings für eine andere Produktion: "Finsternis", ein Monolog nach dem Roman "Schiffbruch vor Lampedusa" von Davide Enia. Der Text habe ihn "erstaunt, denn er drängt nicht auf die Bühne. Es ist die Erzählung eines Mannes, der den Sinn seines Lebens sucht".

Robert Dölle in "Die Träume der Abwesenden". Foto: Sandra Then
Robert Dölle in "Die Träume der Abwesenden". Foto: Sandra Then © Sandra Then

Er unternimmt zum ersten Mal mit seinem Vater eine Reise. Sie fahren nach Lampedusa und erleben 2015 den Untergang eines Flüchtlingsschiffes mit, bei dem 500 Menschen sterben. Verwoben ist dieses Erlebnis mit dem Tod des krebskranken Onkels. Es ist die Wut über die eigene Hilflosigkeit, die ihn zum Sprechen bringt. Regisseurin Nora Schlocker lässt den Ich-Erzähler in einer Küche Orangenmarmelade kochen. Dabei habe er Orangenmarmelade inzwischen lieben gelernt, erzählt Dölle, und sie während der Vorbereitung auf die Rolle auch bei sich zu Hause eingekocht.

Dölle: "Dieser Text muss gemacht werden"

Die Pandemie führte dazu, dass "Finsternis" bisher ausschließlich als Livestream zu sehen war. Für die Zoom-Konferenz waren nur 15 Teilnehmer zugelassen, um technische Erfahrungen mit diesem ungewohnten Format zu gewinnen. Aber "die 70 Minuten vor dem Heimcomputer gehören zu den triftigsten und eindringlichsten der Theatersaison", rühmte die AZ in der Laudatio. Dölle war sofort klar, dass "dieser Text gemacht werden muss", vor allem als es nur noch um Inzidenzen und Corona ging.

Das Stück richte "in unserer wohlstandsverwahrlosten Blase" den Blick auf eine "Tragödie, die täglich passiert und von der wir kaum Notiz nehmen". Es werde noch lange nicht an Aktualität verlieren: "Flüchtlingsströme werden weiterhin hierher kommen, Menschen werden weiterhin auf dem Mittelmeer sterben, mit dem Ukraine-Konflikt wird vielleicht ein neuer Flüchtlingsstrom kommen und der Klimawandel setzt Vieles in Bewegung. Ich habe selten so gespürt, dass es auch ein Auftrag des Theaters ist, das nahe zu bringen".

Zur Zeit steht "Finsternis" nicht auf dem Spielplan, aber die Wiederaufnahme wird vorbereitet. Der exklusive Rahmen der Zoom-Konferenzen soll zwar nicht verlassen werden, aber die Neuauflage wird mit erweitertem Text für den Marstall, eventuell sogar für die große Resi-Bühne, adaptiert werden.

Das Verhältnis von Schauspieler und Zuschauer steht Kopf

Die Pandemie habe aber auch dazu geführt, das Verhältnis zwischen dem Publikum und den Künstlern auf der Bühne zu reflektieren. In einem Haus wie dem Residenztheater vor zeitweise nur "200 Leuten aufzutreten, war ein komisches Erlebnis", berichtet Dölle.

Das sei mehr wie eine Probe und nicht eine Vorstellung, in der eine Kommunikation mit den Zuschauern und sogar eine Magie entstehen könne. "Ich sehne mich sehr danach, dass die Zuschauer wieder kommen", erzählt der 50-Jährige. Auch, wenn die digitalen Formate, mit denen während der Lockdowns experimentiert wurde, einem jüngeren Publikum Inszenierungen nahe bringen können und eine "modernere Außenwahrnehmung" ermöglichten, glaubt er an die Begegnung des Schauspielers mit dem Zuschauer: "Dieser altertümliche theatralische Vorgang bleibt unschlagbar."

Schauspielstationen in München, Frankfurt und Köln

Das Engagement am Residenztheater ist nicht das erste Mal, dass München seinen Lebensmittelpunkt bildet. Der gebürtige Frankfurter bewarb sich nach einem gescheiterten Vorsprechen an der Hochschule der Künste in Berlin mit Texten von Heiner Müller, Rainald Goetz und einem Mephisto-Monolog "aus dem zweiten Teil, den niemand vorspricht", an der Otto-Falckenberg-Schule, wo man ihn "mit offenen Armen" aufnahm.

Sehr beeindruckte den jungen Eleven, in der Kantine "Leute zu treffen, die man vom Film oder von Theateraufzeichnungen im Deutsch-Unterricht kannte" - Leute wie Anna Schudt, Thomas Holzmann, Edgar Selge oder Axel Milberg. Nach der Ausbildung ging er bis 1999 an die Kammerspiele und kehrte 2001 nach einem Engagement am Schauspiel Frankfurt zurück zu Dieter Dorn. 2009 wechselte er nach Köln, wo er zehn Jahre blieb. Aber auch in Zeiten, als er nicht in München lebte, fühlte er sich der Stadt sehr verbunden und nun wieder sei der "Kreis geschlossen".

"Träume der Abwesenden": Dölle als schuldbewusster Außenseiter

In "Träume der Abwesenden", das von einer niederländischen, jüdischen Familie über mehrere Generationen zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren erzählt, spielt er Zvart. Er "ist ein Außenseiter, der sich schuldig fühlt, weil er seine Frau und die Familie im Stich gelassen hat und darunter leidet". Andererseits sei er kein schlechter Mensch, sondern lebe gerne und würde sich vermutlich wieder so verhalten. "Das kenne wir alle", meint Dölle, "wenn man ohne Kalkül etwas tut und später merkt, einen Fehler gemacht zu haben".

Dieser Aspekt des Sehr-Menschlichen ist eine besondere Qualität sowohl des Texts als auch der Inszenierung. Stephan Kimmig habe jedem im personenreichen Ensemble den Raum gelassen, die Figur selbst zu finden und mit sich zu füllen. Trotz einer langen Corona-bedingten Unterbrechung der Proben haben "wir uns zusammengefunden und konnten sehr vertraut miteinander umgehen. Es ist kein Stück, das über einen Diskurs läuft oder eine Theorie, sondern es geht um die Menschen".

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