Finale mit Stefanie Sargnagel im Volkstheater
Über den Tod hinaus kann das Theater noch mal die Verstorbenen heraufbeschwören, ihren Geist lebendig machen. Rainer Werner Fassbinders Attacken auf den deutschen Biedermeier haben nichts an Frische verloren – so auch zu erleben bei Radikal jung, dem Festival für junge Regie im Volkstheater. Dort gehörte zu den finalen Gastspielen „Tropfen auf heiße Steine“, ein Stück aus dem Nachlass Fassbinders, inszeniert von Philipp Arnold in der Box des Deutschen Theaters in Berlin.
Im Stück spricht ein älterer Mann einen jüngeren auf der Straße an und lädt ihn zu sich in die Wohnung ein. Ein Spiel der Verführung entspinnt sich. Nach einem Zeitsprung stecken beide prompt im Alltag bitterböser, dröger Beziehungsabhängigkeiten. Zwei Frauen tauchen auf, sorgen immerhin für eine Orgie. Die Beengtheit der Verhältnisse spiegelt sich in einem fast leeren Interieur, dessen trostlos schwarze Wände sich bedrohlich gen Mitte bewegen können und alle nur noch mehr einzwängen.
Wiedersehen mit einer großen Ära
Fassbinders gnadenloser Blick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen macht sich ohne viel angesetzten Staub spürbar. Dazu mischt sich durch den fahlen Look des Bühnenbilds und die geweißelten Gesichtern der Darsteller ein Hauch von deutschem Expressionismus, dem Fassbinder mit Lust am Pathos zugewandt war.
Dem auf eine Stunde kondensiert durchlaufende Melodram hat Arnold noch ein wenig heutigen Witz eingeimpft: Natali Seelig lutscht ausgiebig die markante Nase von Bernd Moss, was eine sehr komische wie theatertaugliche Übertragung eines Blowjobs ist.
Die Nase vorne hatte Arnolds Inszenierung bei der späteren Verleihung des Publikumspreises nicht, aber bot doch schnelle Unterhaltung sowie ein Wiedersehen mit eben jenem Bernd Moss, der einst zu den recht goldenen Zeiten der Baumbauer-Ära, von 2006 bis 2009, an den Kammerspielen spielte.
Die Menschen und Bilder der Vergangenheit hängen uns nun mal nach, tauchen wieder auf, werden bei Bedarf re-animiert. Die jungen Regietalente nahmen sich Wolfgang Herrndorf („Bilder deiner großen Liebe“) oder die schrillte Dadaistin Valeska Gert vor. Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ bekam ein Re-Load im Stile der Puppenspiele, wie man sie von Susanne Kennedy oder Ersan Mondtag kennt. Und der quicklebendigen Beyoncé durfte man im sehr lustigen Performance-Workshop den Hüftschwung abgucken und sich dabei auch noch feministisch fühlen.
Existenzielle Schwebe
Die Vorbilder sind der jungen Generation offenbar nahe, und wenn es keine gibt, spricht mindestens das Thema ins Heute. Die hauseigene Produktion „Children of Tomorrow“ nimmt sich das verzwickte Argumentationschaos rund ums Kinderkriegen vor, das wohl jedem Twenty- bis Fortysomething bekannt ist. Die Alten dürfen dabei staunen, welche Komplexität sich zwischen Kinderwunsch und Selbstverwirklichung ergibt.
Die existenzielle Schwebe, welche die Generation XY gleichermaßen hedonistisch genießt wie erleidet, macht sich auch in den Schriften der derzeit mächtig populären Wiener Bloggerin Stefanie Sargnagel breit, mit viel Rotz und Schmäh und zitierfähigen Aphorismen. Aus diesen Texten, vor allem Sargnagels erfolgreicher Beitrag zum Bachmann-Preis, „Penne vom Kita“, haben Regisseurin Christina Tscharyiski und ihr Dramaturg Fabian Pfleger eine Spielfassung gebaut, die unter dem Titel „Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis“ im April 2017 am Wiener Rabenhof Theater uraufgeführt wurde.
Miriam Fussenegger, Saskia Klar und Lena Kalisch machen die Autorin im Wortwechsel oder chorischen Sprechen gegenwärtig, treffen den Sargnagel auf den Kopf. Ein riesiger Einbauschrank birgt allerlei Überraschungen in seinen Fächern, ähnlich wie aus dem Blogger-Hirn die irre trefflichsten Sprüche purzeln können. Dass die Sargnagel-Pointen nicht gerade sinnig zu einem Theatertext zusammenmontiert wurden, lässt sich vielleicht mit der Brüchigkeit des Jungseins verteidigen.
Wiener Misanthropie
Spaß macht es: die Wiener Misanthropie oder das Sinnieren über den Bierschiss etwa, vor allem, wenn man die Texte noch nicht kennt. Dazu steuern Austro-Pop-Star Voodoo Jürgens plus Begleiter vogelwilde Lieder bei, die eher separat zu den Texten stehen. Selbst wenn die Darstellerinnen sich mal zur Band gesellen – hier sind die Frauen, dort die Männer, und wenn damit überhaupt was erzählt werden soll, dann, dass beide wenig bis nichts miteinander zu tun haben.
Aber was soll alles Nachdenken über Dramaturgie, über Theater oder „nur“ Show – ist ja eh wurscht. Christina Tscharyiski hat mit ihrem Team eine unterhaltsame Revue mit gutem Gespür fürs Sargnaglische gebastelt. Da die Zuschauer gleich stark für sie als auch die „Children of Tomorrow“ gestimmt haben, wurde der Publikumspreis geteilt, vom Volkstheater um 1000 Euro aufgestockt, so dass sie als auch Corinne Maier und Tina Müller 2000 Euro gewannen. Das mag für die nächste Party ausreichen. Und Feiern können wir ja alle weiterhin, für immer jung und jenseits der Vergänglichkeit.
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