Interview

"Feeling Faust" frei nach Goethes

Claudia Bossard über ihre Inszenierung am Volkstheater.
von  Mathias Hejny
Maral Keshavarz (links) und Ensemblemitglieder befragen Goethe nach dessen "Faust".
Maral Keshavarz (links) und Ensemblemitglieder befragen Goethe nach dessen "Faust". © Gabriela Neeb

Seit fünf Jahren feiert sie als Regisseurin Erfolge in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Claudia Bossard fiel ebenso mit Dürrenmatt auf wie mit Jelinek. Für ihre neue Arbeit am Münchner Volkstheater wünschte sie sich den deutschen Mythos schlechthin: "Faust" von Johann Wolfgang von Goethe. Der Titel "Feeling Faust" lässt vermuten, dass der Klassiker nicht vom Blatt gespielt wird. Vor der heutigen Premiere sprach die AZ mit der jungen Schweizerin darüber.

AZ: Frau Bossard, nach Nikolai Erdmanns "Der Selbstmörder" im vergangenen Jahr ist "Faust Feeling" Ihre zweite Regiearbeit am Volkstheater. Wie haben sich Christian Stückl und Sie gefunden?
CLAUDIA BOSSARD: Julia Richter, die von hier nach Graz gegangen war, spielte in meiner "Physiker"-Inszenierung und hat mich empfohlen. Christian Stückl hat sich das angeschaut und mich eingeladen, im neuen Haus zu inszenieren. "Der Selbstmörder" ist, glaube ich, wirklich meine liebste Arbeit geworden. Ich weiß nicht, ob es noch ein anderes Haus gibt, an dem ich so gerne arbeite wie hier. Ich habe Christian Stückl kennen und sehr schätzen gelernt. Man hat extreme Freiheiten, aber natürlich muss es gut werden.

Darum hat sich Bossard für ein so jungen Ensemble entschieden

Sie haben hier ein ganz besonders junges Ensemble. Wie haben Sie den weißen alten Mann in seiner Studierstube besetzt?
Gar nicht. Ich wollte den Faust von Anfang an hier machen, weil ich das Ensemble als sehr denkfreudig und wach empfinde. Mich interessiert Fausts Größenwahn, zu verstehen, was die Welt im Kern zusammenhält. Wir alle sind an einem Punkt, an dem wir glauben, wir verstehen alles, aber wir wissen nicht, wo das Handeln und die Tat einsetzen. Es geht um diese Trias aus Intellekt, Handeln und Gefühl. Mit diesem jungen Ensemble ist der wissenschaftliche Ehrgeiz, die Welt in ihrem Innersten zu verstehen, die Grundsetzung. In dieser Inszenierung sind es zunächst acht junge Geisteswissenschaftler, die besessen über Goethe und Faust diskutieren. Dann kristallisieren sich Figuren und eine Handlung heraus.

Kommt wenigstens ein Pudel?
Ja, der kommt. Aber kein Gretchen. Steffen Link, der sich als Faust herausbildet, übernimmt auch Texte von Gretchen. Ich habe den Text komplett neu gebaut.

"Was ich mache, ist eine dekonstruktivistische Arbeit"

Wir haben es bei "Faust" mit einem Zweiteiler zu tun, der ein langer Abend werden kann. Was bleibt übrig?
Es sind zwei Stunden. Es werden einige ganz tolle sprachliche Momente aus dem Original natürlich nicht drin sind. Der Kaiserpalast oder die Diskussion über Geld und Gier, die im Faust II über 50 Seiten erzählt wird, ist nicht drin, oder den ganzen Mummenschanz haben wir in unsere eigene, auch visuelle Sprache übersetzt.

Das führt zu einer Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der Sprache?
Was ich mache, ist eine dekonstruktivistische Arbeit. Natürlich ist Goethe für Deutschland fundamental wichtig. Aber als Schweizerin komme ich aus einem anderen Demokratie-Hintergrund. Ich habe einmal "Johanna von Orléans" inszeniert. Es faszinierte mich, dass Schiller und Goethe erstmals nationale Mythen literarisch verfolgten. Aber der Vers hat etwas Zwanghaftes, auch wenn Goethe damit spielt. Natürlich sind seine Aphorismen und Küchenweisheiten unglaublich poetisch. Aber sein Anliegen geht über Dichtung weit hinaus. Es geht nun sehr viel um Johann Wolfgang von Goethe, um seine Biografie und auch um seine Italien-Reise.

Zuletzt arbeiteten Sie in Graz an "Bunbury" und fanden einen sehr queeren Zugang, was bei Oscar Wilde nicht völlig abwegig ist. Wie geht Ihr Heinrich Faust mit Homosexualität um?
Man stellt schnell fest, dass Mephisto eine sehr sympathische Figur ist. Es gibt auch die Lesart, dass er sich wie Yin und Yang nur im Kopf abspielt. Mephisto muss jeder sein können, denn das Böse und das Gute sind in jedem von uns. Die Frage ist nur, wie wir uns entscheiden und wo das Handeln beginnt und wo die Verantwortung. Bei der Arbeit vor allem mit den weiblichen Darstellerinnen stellte sich heraus, dass es richtig ist, die Cross-Gender-Besetzung nicht voranzutreiben, wenn es nicht passt.

"Wir haben zweieinhalb Jahrtausende männliches Mittelmaß hinter uns"

Die Gender-Frage wird zur Zeit vor allem in den Theatern diskutiert. Ist das gerade nur ein modischer Trend oder steckt etwas anderes dahinter?
Es hat mit Sichtbarkeit und Darstellung zu tun. Natürlich sind die Ich-Ermächtigung und die Ich-Bemächtigung große Themen. Das Theater ist das Untersuchungsfeld, auf dem dieser Konflikt auf dem Punkt zusammenläuft. Ich glaube nicht, dass es immer eine Lösung ist zu sagen, Faust ist weiblich oder was auch immer. Das ist natürlich möglich, aber darum geht es nicht. Es geht darum, Geschlechterdarstellung neu zu verhandeln. Was Faust mit Gretchen gemacht hat, ist eine Katastrophe. Das hat Goethe in einem Gespräch mit Eckermann selbst benannt: Für ihn sind Frauen nur Gefäße. Er hat sich bei den Frauen entschuldigt und ihnen seine Bücher gewidmet, aber am Ende steht Margarethe auf der Bühne und ist einfach ein Behälter. Wir haben zweieinhalb Jahrtausende männliches Mittelmaß hinter uns, und jetzt ist mal gut. Am Ende geht es um "das Ewig-Weibliche".


Volkstheater, Premiere am 18. Oktober. Auch am 7. und 26. 11., 19.30 Uhr, Telefon 5234655

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