"Fata Morgana" im Volkstheater: Die Moral im Wüstensand
München - Und mag die ganze Welt versinken! Hafis, mit dir allein will ich wetteifern! Lust und Pein sei uns, den Zwillingen, gemein! Wie du zu lieben und zu trinken, das soll mein Stolz, mein Leben sein" dichtete Johann Wolfgang von Goethe vor gut 200 Jahren inspiriert vom persischen Kollegen Hafis.
Orient und Okzident
So verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, dass Orient und Okzident zusammengehören wie ein Zwillingspaar. Diese euphorisierten Zeilen aus der umfänglichen Gedichtsammlung "Ost-westlicher Divan" stellt Julian Mahid Carly an den Beginn seines neuen Stücks "Fata Morgana", das auf der Bühne 3 des Volkstheaters uraufgeführt wurde.
Influencer werben für autoritäre Staaten
Dabei geht es um ein eher bildungsfernes Phänomen unserer Epoche. Junge Menschen verdingen sich als Influencer und Influencerinnen bei autoritären Ölprinzen, um deren Image bei westlichen Touristen aufzufrischen. Fehlende Demokratie, Missachtung der Menschenrechte, die Unterdrückung von Frauen oder die Kriminalisierung der Homosexualität sind nicht nur kein Thema.
Der kleinste gemeinsame Nenner: Lust auf Luxus
Lust auf Luxus ist der kleinste gemeinsame Nenner, der zwischen Abend- und Morgenland blieb und die Influencersterncheninnen verzichten mit den gut dotierten Arbeitsverträgen auf das Recht auf Meinungsfreiheit. In einem Produktionstagebuch zu seiner ersten Inszenierung in München berichtet der gebürtige Nordhesse von einem Onkel aus Bangladesch, der auf Baustellen in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig war.
Die Löhne seien wohl ausreichend gewesen, aber wegen Corona verlor er die Aufträge und war dort "ohne Sozialhilfe, ohne Rücklagen und ohne richtige Unterkunft gefangen". Gleichzeitig hätten die Scheichs potenzielle Influencerinnen und Influencer mit "steuerlosem Luxus" gelockt.
Das Tagebuch ist spannender als die Inszenierung
Das kurze Tagebuch des 25-jährigen Regisseurs liest sich leider spannender, als sich seine Inszenierung anfühlt. Erzählt wird von den jungen Frauen Stormy (Luise Deborah Daberkow) und Toni (Ruth Bosung), die an einem Casting für "das neue Gesicht" der Hotelgruppe Fata Mogana teilnehmen. Die Jury sind Jessie (Maral Keshavarz) und James (Lorenz Hochhuth), die "Challenges" bis hin zum Wintersport im Wüstensand veranstalten.
Eine megaschräge Satire, die mehr Trugbild ist
Was Julian Mahid Carly beim Schreiben und Inszenieren vermutlich im Sinn hatte, war eine megaschräge Satire auf die flexible Moral der europäischen Digital Natives, die sich als "konsumkritisch aber neugierig" beschreiben. Am Darstellerquartett liegt es nicht, dass "Fata Morgana" zu einem Theater-Trugbild missraten ist, das auf den gleichen Leim geht, wie der aufgekratzte Konsumterror im Netz, über das man sich lustig zu machen versucht.
Die Vier lassen mit hohem körperlichen Einsatz, eindrucksvoll beherrschter schauspielerischer Technik und kraftvollem Furor nichts anbrennen. Aber für Gesellschaftskritik ist der Abend zu ungenau, fürs Kabarett zu unwitzig.
Münchner Volkstheater, 27. bis 29. April, 3., 9., 11., 18. Mai, 20 Uhr, Karten unter 089 52 34 655
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