Kritik

Familientauglich: Die "Zauberflöte" am Gärtnerplatz

Die Neuinszenierung von Mozarts Oper im Gärtnerplatztheater ist dank der Regie von Josef E. Köpplinger auch perfekt für Erstseher geeignet
Robert Braunmüller
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Papageno und Papegena in der "Zauberflöte".
Markus Tordik 4 Papageno und Papegena in der "Zauberflöte".
Die Königin der Nacht.
Markus Tordik 4 Die Königin der Nacht.
Sarastro (René Pape) mit Sophie Mitterhuber als Pamina.
Markus Tordik 4 Sarastro (René Pape) mit Sophie Mitterhuber als Pamina.
Das Finale der Oper.
Markus Tordik 4 Das Finale der Oper.

Die Bühne ist leer und weit offen. Eine Leuchtschrift gibt den Titel des Stücks bekannt. Ein heutiger Jugendlicher geht über die Bühne. Mit dem Beginn der Ouvertüre fällt er in Ohnmacht, verdoppelt sich und erlebt die Handlung von Mozarts Oper als Erst-Konfrontation mit dem anderen Geschlecht und den Wertvorstellungen der Erwachsenenwelt.

Der Kunstgriff, mit dem Josef E. Köpplingers Inszenierung der "Zauberflöte" beginnt, ist durchaus bewährt. Aber er ist erstens rasant zur Musik choreografiert (Ricarda Regina Ludigkeit) und zweitens nutzt ihn der Regisseur klug als Angebot für jüngere Zuschauer, sich mit der sonst steifen Figur des Prinzen Tamino zu identifizieren. Auch wenn die Drei Damen im weiteren Fortgang mit Laserschwertern hantieren und das Bildnis Taminos auf einer Art Tablet erscheint: Köpplinger wanzt sich im weiteren Fortgang der Aufführung keineswegs billig an die jüngeren Besucher heran, sondern versucht sie mit dem guten alten Theaterzauber bewegter Prospekte und Maschinen einzufangen.

Köpplinger setzt auf Tempo. Die Dialoge sind stark gekürzt und dezent modernisiert, auf Blackfacing bei Monostatos wurde verzichtet. Trotzdem fehlt keiner der seit 200 Jahren bewährten Gags. Im zweiten Teil, vor Sarastros Hallen-Arie, gibt es die sonst bis zur Unverständlichkeit gekürzte Messer-Kolportage zwischen Patina und Monostatos in mehr oder weniger voller Länge. Das ist bei einer Inszenierung, die auf Action und Tempo setzt, auf jeden Fall ein Gewinn.

Die "Zauberflöte" ist für Köpplinger primär eine Komödie. Irgendwann scheint der Regisseur daran verzweifelt zu sein, den Drei Knaben die üblichen feierlichen Einheits-Gesten einzutrichtern. Sie sind nun, was sie womöglich auch privat sind: leicht verpeilte Schüler, die ihren ersten Auftritt fast verpassen und im Umgang mit Pamina und Papageno trotzdem Herz zeigen. Auch das ist ein sehr freundliches Angebot an jüngere Zuschauer.

Das Bühnenbild (Memme Hinrichs) arbeitet mit Projektionen und Videos. Die Drehbühne und die Hubpodien rosten trotzdem nicht vor sich hin: Die ständige Bewegung auf der Bühne beschäftigt das Auge, ohne es zu überfordern. Und auch wenn es Köpplinger nicht wirklich gelingt, das Tempo im Prüfungstempel des zweiten Teils völlig durchzuhalten: Langweilig wird keinem Besucher werden. Und das soll, wie auch ehrliche Mozart-Fans eingestehen werden, nach der Pause in anderen Aufführungen durchaus vorgekommen sein.

Der neue Chefdirigent Rubén Dubrovksy und das Orchester können bei dem Tempo ohne Weiteres mithalten. Schon die blankgeputzte Ouvertüre lässt aufhorchen. Und auch sonst herrscht eine Ausgewogenheit zwischen den kernigen Bläsern und den mit dezentem Vibrato spielenden Streichern. Dieser dezent historisch informierte, sehr direkt aus dem Graben tönende Kammerorchester-Klang ist ein Genuss. Nur das den Drei Damen abgeforderte Parlando wirkte arg hastig. Auch sonst hätte es nicht geschadet, den Sängerinnen und Sängern hin und wieder einen musikalischen Verschnaufer oder eine Zäsur zu gönnen.

Wenn der Sprecher (Alexander Grassauer) frauenfeindlich schwadroniert, wird das deutlich als Palaver unter Alpha-Männern charakterisiert. Aber durch derlei Geschwätz muss man beim Erwachsenwerden auch durch. Dann dampft es dämonisch, um Erst-Seher über den Charakter Sarastros ein wenig im Unklaren zu lassen.

Immerhin darf die mit gleißenden Koloraturen aufwartende Königin der Nacht (Alina Wunderlin) für Sekunden leicht frustrierten Feminismus einbringen. Was nötig ist, denn Frauen haben in dieser Aufführung wenig zu melden. Zu Pamina ist Köpplinger leider nicht viel eingefallen, und leider wickelt Sophie Mitterhuber ihre Arie mit dem Dirigenten auch ein wenig lieb- und ausdruckslos ab: Existenzielle Verzweiflung passt nicht ins komödiantische Konzept dieser Aufführung.

Lucian Krasznec singt den Tamino sehr italienisch, was Debatten unter Fachleuten auslösen könnte. Daniel Gutmann ist ein kernig-komödiantischer Papageno. Sahnehäubchen auf einem rundum exzellenten Ensemble ist in den ersten vier Vorstellungen der leicht angeschlagen wirkende René Pape als Sarastro - er hat die Rolle schon vor drei Jahren in der Dresdner Urfassung dieser Inszenierung interpretiert.

Die Weiterentwicklung ist die frischeste Arbeit des Hausherrn seit längerem, auch wenn anderen Regisseuren bei der Feuer- und Wasserprobe mehr eingefallen ist. Etwas rätselhaft bleibt das von einer Rammstein-Show oder dem Kohlenkeller eines Ozeandampfers übriggebliebene Personal aus Sarastros Unterwelt (Kostüme: Alfred Mayerhofer). Es soll, so hört man, davon inspiriert sein, dass sich die Freimaurer auf die Tradition handwerklicher Zünfte berufen. Aber das ist schon sehr um die Ecke gedacht.

Umstürzend neue Perspektiven hat die Aufführung nicht anzubieten. Taminos Doppelgänger (Demian Erofeev) tritt im Verlauf des Abends seltener auf, und irgendwann gerät die Coming-of-Age-Geschichte in Vergessenheit. Aber das ist letztendlich unwichtig. Die Geschichte wird erzählt, als sei sie ein frisches Musical - und das ist ein Vorzug gegenüber der behäbig gewordenen Everding-Inszenierung im Nationaltheater.

Die Aufführung ist genau das, wofür das Gärtnerplatztheater stehen möchte: allerbestes Familientheater für jüngere und jung gebliebene Besucher. Deshalb ist diese "Zauberflöte" szenisch wie musikalisch ein absoluter Gewinn für München und das Repertoire dieses Hauses. Und wer schon ein paar Aufführungen dieser Oper gesehen hat, der weiß auch: Allzu oft kommt das nicht vor.

Gärtnerplatztheater, wieder am 24., 26. und 29. 10. sowie 1. 11.

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