Kritik

Existenzieller Kunstwille: Christian Thielemann dirigiert "Capriccio"

Die konzertante Aufführung der Oper von Richard Strauss bei den Salzburger Festspielen
von  Michael Bastian Weiß
Christian Thielemann
Christian Thielemann © Marco Borrelli/SF

Die Partie der Gräfin kommt für Elsa Dreisig zu früh. Zugegeben: Diesem Eindruck kann gleich mit dem Verweis auf die Oper "Capriccio" selbst widersprochen werden, in der die beiden Textdichter - der Dirigent Clemens Krauss und der Komponist selbst - keine Angaben zum Alter ihrer Hauptfigur gemacht haben. Tatsächlich spricht dem Buchstaben also nach nichts dagegen, sie mit einer 33 Jahre alten Sängerin zu besetzen.

Elsa Dreisig als Gräfin
Elsa Dreisig als Gräfin © Marco Borrelli/SF

Doch letztlich füllt Elsa Dreisig diese Rolle noch nicht aus. Besonders in ihrem großen Schlussmonolog müsste die Gräfin Melancholie, liebenden Idealismus, abgeklärte Weisheit atmen. Mit ihrem leichten, hellen Sopran bietet die französisch-dänische Sängerin, die bislang vor allem mit Mozart-Rollen hervorgetreten ist, wenig mehr als jugendliche Unsicherheit.

Ein handverlesenes Ensemble

Und schon sind auch wir mittendrin in einem jener ästhetischen Dispute, von denen dieses "Konversationsstück für Musik", die letzte Oper von Strauss, lebt. Was gilt nämlich: der naturalistische Standpunkt, nach dem die Gräfin auch eine junge Frau sein kann, oder die Gesetze des Theaters und die faktische Aufführungsgeschichte, nach welchen hier eine reifere Person zu bevorzugen ist?

Elsa Dreisig (Gräfin), Bo Skovhus (Graf), Sebastian Kohlhepp (Flamand), Konstantin Krimmel (Olivier), Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor) und Ève-Maud Hubeaux (Clairon) in der konzertanten Aufführung von "Capriccio" in Salzburg.
Elsa Dreisig (Gräfin), Bo Skovhus (Graf), Sebastian Kohlhepp (Flamand), Konstantin Krimmel (Olivier), Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor) und Ève-Maud Hubeaux (Clairon) in der konzertanten Aufführung von "Capriccio" in Salzburg. © Marco Borrelli/SF

Die Frage stellt sich auch deshalb so deutlich vernehmbar, weil Christian Thielemann diese konzertante Aufführung so überaus sorgfältig einstudiert hat. Besonderen Wert legt er darauf, dass die Mitglieder des handverlesenen Ensembles nicht nur gut verständlich artikulieren, sondern die rezitativischen Passagen mit ihren vielen kleinen Noten auch möglichst arios singen.

Sprießen und leuchten

Christoph Pohl ist als Graf für Bo Skovhus eingesprungen; er wird von Thielemann so sicher geführt, dass er sogar noch die Freiheit hat, mit seinem klangvoll-baritonalen Parlando komödiantisch zu spielen. Sebastian Kohlhepp nutzt als Komponist Flamand jede Gelegenheit, seinen wohlig weichen Tenor sprießen und leuchten zu lassen. Sein Gegenpart, der Bariton Konstantin Krimmel als Olivier, der Dichter, bleibt mehr im lyrischen Deklamieren befangen, sodass das sprichwörtliche Spannungsverhältnis "primo le parole, dopo la musica" hier eher auf die Seite der Musik kippt.

Bo Skovhus (Der Graf), Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand).
Bo Skovhus (Der Graf), Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand). © Marco Borrelli/SF

Ève-Maud Hubeaux als Clairon hat in der Rolle der praxisgestählten Theaterschauspielerin keine Scheu, auch einmal die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, und stellt mit ihrem stark sinnlich timbrierten, verführerischen Mezzosopran beide in den Schatten.

Melodiös ausgekostet

Das ist die Kehrseite von Christian Thielemanns Konzept, den durchgehenden Konversationston des Strauss'schen Alterswerks mit seinen unzähligen Anspielungen für Kenner möglichst melodiös auszukosten: In seiner Ästhetik des gewissenhaften Buchstabierens in Schönschrift geht jede Dramatik verloren. Rein orchestertechnisch ist phänomenal, wie die Wiener Philharmoniker ihre Instrumente nur mit den Fingerspitzen anfassen, wie samtig im Salzburger Großen Festspielhaus die Streicher fließen, die Blechbläser entspannt tupfen und allenfalls im Holz delikateste Details herausgestrichen werden.

Doch in "Capriccio" geht es auch um handfeste Eifersüchteleien, um die Sucht nach Anerkennung, um die Obsession, mit der alle Figuren darum ringen, das Ideal der Kunst zu erreichen. Die Anschuldigungen, die zum beleidigten Ausbruch des Theaterdirektors "Holà! Ihr Streiter in Apoll" führen, sind ernster Natur: Mika Kares als La Roche begnügt sich hier jedoch mit irritierten Anmerkungen. Dieser verschenkte Höhepunkt ist symptomatisch für eine Aufführung, die den existentiellen Kunstwillen, den Strauss am Ende seines Lebens noch einmal festschrieb, verharmlost - dies aber, auch das gehört zur ganzen Wahrheit, in höchster interpretatorischer Sublimierung.

Noch einmal am 4. August im Großen Festspielhaus (19 Uhr), teure Restkarten unter (0043) 662 8045 500 und auf www.salzburgerfestspiele.at.

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