Es dräut so düster, ach!

Calixto Bieito versucht sich am Resi mit „Leonce und Lena. Dunkle Nacht der Seele“ an Georg Büchner ohne Handlung – ein Irrweg
Gabriella Lorenz |
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Von der Agonie in die suizidale Depression – welche Spielplan-Kontinuität am Resi. Nach Martin Kušejs Abgesang aufs letzte Jahrhundert erweckt nun der spanische Regisseur Calixto Bieito den Daseins-Überdruss zum (wohl nicht lange im Repertoire überlebensfähigen) Bühnenleben.

Beim Titel „Leonce und Lena. Dunkle Nacht der Seele“ liegt die Betonung auf dem zweiten Teil. Bieito hat aus dem so schmalen wie gewichtigen Werk Büchners, der vor 200 Jahren geboren wurde, ein Depressionskonzept destilliert, das anderthalb Stunden langweilt und deprimiert.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Was dieser geniale Dichter schon ganz jung – er starb mit 23 – über die Abgründe der Welt wusste, ist 180 Jahre später immer noch erschreckend aktuell. Woyzecks Abgrund ist allerdings der einzige, den die Textcollage Bieitos und seines Dramaturgen Marc Rosich ausspart. Sie montieren Zitate aus „Leonce und Lena“, „Dantons Tod“, der Erzählung „Lenz“ sowie aus Briefen und wissenschaftlichen Schriften (u.a. über den Selbstmord) – zu einer Depressions-Revue. Ihr Tunnelblick ins schwarze Loch sieht den sozialkritischen, politisch verfolgten Autor Büchner so wenig wie seine an William Shakespeare geschulte Kunst, Fatalismus in Komödiantik zu betten. Diese Facetten zu trennen, Zitate in einen einseitigen Kontext zu stellen, zeugt von einem an Vergewaltigung grenzenden Missverständnis.

Man habe Büchners Worte „vom Ballast der Handlung befreit“, verkündet Rosich im Programmheft. Aber Büchner hat fürs Theater geschrieben. Was bleibt ohne Spiel auf der Bühne? Ein Rezitationsabend mit Musik, aufgemotzt durch das pompöse Bild von Rebecca Ringst: Selten sehen schwarze Plastikplanen so beeindruckend aus, vor ständig waberndem Nebel. Die riesige Folie hebt sich zum Himmel, der sich düster dräuend wölkt und wölbt, formiert Gipfel-Panoramen und wird sogar ersteigbar für die Akteure, die sich mangels Handlung ja irgendwie beschäftigen müssen.

Sie liegen, stehen, klettern und turnen also mit ihren Texten aneinander und auf dem Müllsack-Gebirge herum. Räkeln sich auch dekorativ auf dem Flügel des Musiktrios (Blerim Hocha, Chris Lachotta, Manfred Manhart), das mit Bass und Geige den Ton angibt für die englischen Wehmut-Songs von Maika Makovski. Live gesungen von den fünf Schauspielern, die nur Anspielungen, aber keine Figuren sind: Genija Rykova und Lukas Turtur als Brautpaar Leonce und Lena, Katharina Pichler im roten Abendkleid (Kostüme: Ingo Krügler) und Friederike Ott dürfen auch Dantons Prostituierte Marion sein, und sowieso sind alle alles. Da ohne FKK derzeit gar nichts geht, sieht man auch Guntram Brattia in voller Blöße.

Statt dieses Bades in larmoyantem Edelkitsch könnte man anderthalb Stunden zu Hause Büchner lesen – mit all seinen Facetten.

Residenztheater, 27. Juni, 19.30 Uhr, 7. Juli, 19 Uhr, 16., 20., 25. Juli, 19.30 Uhr, Karten unter 2185 1940

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