Erwin Schrotts grandioser Liederabend "Cuba amiga"
Er sieht gut aus. Er hält sich für unwiderstehlich. Er strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Dafür muss man Erwin Schrott lieben. Denn all das steckt einen dermaßen an, dass man nach dem Konzert als Lateinamerikaner nach Hause geht. Ein angenehmes Gefühl, das noch den ganzen Sommer anhalten wird.
Der rote Vorhang des Nationaltheaters war anfangs geschlossen. Dann begann das große, sogar mit Streichern besetzte Orchester zu spielen. Der 1972 in Montevideo geborene Sänger räkelte sich im weißen Anzug mit Hut und tief ausgeschnittenem hellen T-Shirt vor einem Mikro und setzte mit „El dia que me quieras“ von Carlos Gardel ein.
Der Autor dieser Rezension hasst Crossover von Opernsängern aus vollem Herzen. Das macht die nun folgende Beteuerung umso glaubhafter: Schrott ist der Einzige, der so etwas kann. Sein dunkler Bassbariton passt zur lateinamerikanischen Musik, mit der er aufgewachsen ist. Und die singt er mit wahrer Inbrunst ins Mikrofon, obwohl er keine ideale Mikrofonstimme hat.
Der Mann ist authentisch
Das ist egal. Denn bei Schrott ist alles authentisch. Die Eitelkeit sowieso. Man nimmt ihm selbstverständlich ab, wenn er dem Publikum schmeichelt, seine zauberhafte Tochter Iara lobt und begeistert den 14-jährigen Pianisten Michael Häringer im weißen Anzug vorstellt, der mit hartem Anschlag, aber trotzdem bewegend ein Prélude von Chopin spielt.
Schrotts schwitzte mit seiner Leidenschaft mehrere Handtücher voll. Sein Programm reiste mit dem Ziel Kuba auf den Spuren des Tangokönigs Carlos Gardel durch Lateinamerika. Natürlich mit „Bésame mucho“ und anderen berühmten Liebesliedern, Sambas und Schmusesongs des Kontinents im Gepäck.
Nach der Pause sprach Schrott ins dunkle Theater hinein. Die Verbrüderung der Menschheit und die Überwindung der Rassenschranken sei sein Anliegen. Auch von der Sonne war die Rede. Bei jedem anderen Künstler wäre das peinlich, hier wirkte es ehrlich.
Und es folgte ein wahrhaft bewegender Moment: Ein Scheinwerfer erfasste den blinden José Feliciano („Feliz Navidad“). Der Puertoricaner sang erst mit kehliger Stimme allein, später mit Schrott im Duett. Und er ist ein Gitarrengott, der dem akustischen Instrument die schmutzigen Klänge einer E-Gitarre entlockt.
Am Ende tanzende Ovationen
Feliciano dankte Schrott, Schrott dankte Feliciano, und der sagte „Thank you for being so kind“ zum Publikum. Selbst der abgebrühteste Zyniker musste es glauben. Dann brachte Schrott das ausverkaufte Nationaltheater dazu, mit ihm „Quizás, quizás, quizás“ zu singen. Die sehr brave Kristine Opolais wagte ein Tänzchen, die Jazzsängerin Deborah Lee trat auf, dann wieder der überwältigende Feliciano.
Am Ende des offiziellen Teils steigerte Schrott mit dem Orchester fast zehn Minuten lang die kubanische Revolutionshymne „Hasta Siempre“. Aber, wenn wir uns nicht total verhört haben, ohne Erwähnung von Che Guevara, und umgedeutet zu einem Hymnus auf die südliche Lebensfreude. Wenn sich nun Fidel Castro und Barack Obama auf der Bühne des Nationaltheaters geküsst hätten - niemand wäre überrascht gewesen.
Ein überwältigendes Sommerkonzert
Ein überwältigender, hinreißender, mitreißender Schluss. Das Publikum tanzte stehend, Schrott winkte dankend dem Intendanten Nikolaus Bachler in seiner Loge zu. Entertaiment, wie es hauptberufliche Entertainer selten besser hinbekommen.
Natürlich gab es Zugaben. Schrott stellte noch einmal seine groß besetzte Band vor. Der Bandoneonmann Claudio Constantini spielte gleichzeitig auf dem Klavier und seinem Instrument. Dann noch „Rojotango“. Ein wahrhaft überwältigendes Sommerkonzert, zu dessen Beschreibung einem die Superlative ausgehen. Daher nur: Wow!
Nur das muss noch sein, obwohl es ein fürchterliches Klischee ist: Heiß geht es im Nationaltheater öfter zu. Aber so heiß war es noch nie. Obwohl das Haus ausnahmsweise auf amerikanische Verhältnisse heruntergekühlt war. Und man sehnte sich geradezu nach der hoffentlich bald erscheinenden Platte mit diesem Programm.