Ersan Mondtag über "Doktor Alici"
Der Regisseur und Bühnenbildner aus Berlin hat mehr als nur einen Koffer in München. Ersan Mondtag studierte zwei Jahre lang an der Otto-Falckenberg-Schule, gründete vor sieben Jahren das „Kapitael2Kolektief“, arbeitete an der Pinakothek der Moderne und war mit Produktionen des Schauspiels Frankfurt sowie des Staatstheaters Kassel häufiger Gast bei „Radikal jung“ im Volkstheater. Vor zwei Jahren gab er mit „Das Erbe“, einer „Assoziation zum NSU“, sein Debüt bei den Kammerspielen. Zur Zeit inszeniert er „Doktor Alici“ seiner langjährigen künstlerischen Weggefährtin Olga Bach, das am 24. Januar in der Kammer 1 uraufgeführt wird.
AZ: Herr Mondtag, das Stück erzählt vom nächsten Landtagswahlkampf. Seit wann interessieren Sie sich für bayerische Landespolitik?
Ersan Mondtag: Das ist unumgänglich. Jeder bekommt die bayerische Landespolitik mit. Die CSU ist auch an der Regierung. Und Bayern ist ein starkes Bundesland, das ein großes Gewicht in ganz Deutschland hat. Wenn hier ein Polizeiaufgabengesetz beschlossen wird, hat das Konsequenzen für den Rest des Landes.
War dieses Gesetz das Motiv für das Stück?
Olga Bach, die Autorin, ist Juristin und macht gerade ihr Staatsexamen. Sie ist deshalb viel in diesem Milieu unterwegs. Die Vorlage ist „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler. Das Polizeiaufgabengesetz war tatsächlich der Anlass, einen solchen Plot zu entwickeln. Das Gesetz kommt aus einer konservativen Ecke und wir haben die Situation in „Professor Bernhardi“ einfach umgekehrt. Doktor Alici ist eine muslimische und lesbische Polizeipräsidentin, die eine Person aus dem rechten Lager in Gewahrsam nimmt.
Was verbindet den jüdischen Arzt im Wien um das Jahr 1900 mit der türkischstämmigen Polizeichefin im München des Jahres 2023?
Beide sind Führungspersönlichkeiten, die einer Minderheit angehören und in ihrer Funktion folgenschwere Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen geben Anlass zu rassistischen Ressentiments, an deren Ende ein strafrechtliches Verfahren steht. Doktor Alici wird schließlich freigesprochen. Die Idee, das mit „Professor Bernhardi“ zu koppeln, kam von der Autorin. Sie mag das Stück sehr und hat sich viel damit beschäftigt. Ich habe mit der Autorschaft nichts zu tun. Ich bin nur der Dienstleister, der es ausführt.
Aber zwischen Olga Bach und Ihnen gibt es schon eine längere Zusammenarbeit.
Ja. Wir sind seit 15 Jahren befreundet. Man könnte sagen, sie ist meine beste Freundin. Wir haben eine ähnliche Betrachtung der Welt. Es ist natürlich nicht so, dass sie etwas schreibt und ich dann darüber überrascht bin, sondern es gibt einen Prozess, in dem wir miteinander über Dinge sprechen und denken: Darüber sollten wir mal ein Stück machen. Für dieses Stück waren wir eine Woche lang in der Toskana in Klausur, haben über die Thematik nachgedacht und ich habe meinen Input dazu gegeben. Es ist schon eine sehr verdichtete Zusammenarbeit.
Sie sind ein Regisseur der starken Theaterbilder. Wie sieht Ihr München in vier Jahren aus?
Nicht viel anders als heute. Aber wir haben ein Haus aus den Siebziger Jahren in einer amerikanischen Kleinstadt. Diana Syrse, die aus der Moritz-Eggert-Schule kommt, hat eine an Hitchcocks Filme erinnernde Musik komponiert. Es ist eine Ästhetik von amerikanischen oder britischen Krimis zwischen den dreißiger und den siebziger Jahren. Von Anfang an schwebt die Gefahr darüber – man weiß nicht genau: Ist das real oder ein Alptraum?
Wie finden Sie zu Ihrer individuellen Ästhetik?
Ich bin manchmal nicht ganz sicher, ob ich mich nicht in einem Alptraum befinde. Wir haben einen Bundestag voller Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nur die Vorstellung davon hätte mich vor einem Jahr noch erschrocken. Heute lebe ich in einer Realität, die vor Kurzem noch ein Alptraum war. Es war ein skurriler Alptraum, dass Donald Trump eines Tages US-Präsident sein könnte. Deshalb ist mir auch ein ungläubiges Staunen darüber, was gerade passiert, so wichtig.
Erklären Sie den Zuschauern, wie zum guten Ton der Kammerspiele gehört, dass sie nur im Theater sitzen und alles, was sie sehen, Fiktion ist?
Nein. Wir nutzen alle Mittel der Theaterkunst mit großem Handwerk von allen Abteilungen, großem Bühnenbild, großer Musik, großen Figuren, großen Texten, großem Sprechtheater. Wir erzählen wirklich eine Geschichte von Anfang bis zum Ende. Wir haben das Stück speziell für München entwickelt – nicht nur den Text, der in München spielt, sondern auch die Form. Es ist anders als bei „Das Erbe“. Jetzt vermischen wir unsere hermetische Ästhetik mit den Ansprüchen des Publikums – nicht nur in München, sondern auch in anderen Städten wie Berlin. Was dabei herauskommt ist ein Hybrid aus beiden Extremen. Das hat allen sehr viel Spaß gemacht und ich werde diesen Ansatz weiter verfolgen.
Kammer 1, Premiere morgen, nächste Vorstellungen 28., 31. Januar, 6., 14., 23. Februar, 20 Uhr, Karten Telefon 23396600