"Eisbachwelle": Ein Flüchtlingsschicksal auf der Schauburg-Bühne

München - Wer jemals die Surfer auf der Eisbachwelle beobachtet hat, der durfte nicht nur Zeuge werden, wie sich da eine ganz eigene Community auf dem reißenden Wasser tummelt, sondern wurde selbst Teil eines bunt gemischten Publikums. Eine Art "Melting Pot" entsteht an den Ufern des Eisbaches; woher jemand kommt, spielt angesichts des Schauspiels kaum eine Rolle.
Rafik, Ronja und Paula auf der Eisbachwelle
Autor Florian Wacker hat von der Schauburg den Auftrag bekommen, ein Stück zu schreiben, das sich genau mit dieser zusammengewürfelten Eisbach-Zufallsgemeinschaft befasst. Dabei ist ihm eine Geschichte über drei jugendliche Freunde eingefallen, die ganz unterschiedlicher Herkunft sind, aber doch eine Einheit bilden. Ja, regelrecht eingeschweißt ist dieses Trio, ein "Melting Pot" für sich: "wir sind ein Körper, wir drei, Rafik, Ronja und Paula", heißt es in einer der chorischen Passagen des Stückes. Und weil sie sich oft am Eisbach treffen, sehen sie auch hin und wieder, wie das dahinrauschende Wasser zu einer vereinnahmenden Kraft werden kann: "jetzt rudert er schon mit den Armen, gleich reißt es ihn runter vom Brett, gleich, die Welle wird ihn fressen, gleich hat sie ihn, sie wird ihn fressen."
Ronja verschwindet: Was ist mit ihr passiert?
Wackers Sprache hat einen schön fließenden, rhythmischen Sound. Die Eisbachwelle strömt also auch als formale Idee durch sein Werk und sie kann, wie jeder weiß, einen mörderischen Zug entwickeln. Im Durchschnitt ertrinkt pro Jahr eine Person im Eisbach, so erzählt es "ein Sonnengebräunter" im Stück. Als Ronja plötzlich verschwindet, kommt der Verdacht hoch, dass sie vielleicht von den Wellen verschluckt wurde, was Rafik und Paula jedoch nicht wahrhaben wollen. Sie machen sich auf die Suche nach ihr, wobei sie bald feststellen, dass sie von ihrer Freundin nur wenig wussten. Wo hat Ronja eigentlich gewohnt? Woher kommt sie eigentlich? Wer sind ihre Eltern?
Ein Krimi über das multikulturelle München
Dem Thema "Eisbachwelle", das ja durchaus sonnige Assoziationen auslösen kann, verleiht Florian Wacker einen dunklen Krimi-Ton, der fürs Schreiben wohl auch ganz praktisch war. Denn die Detektivgeschichte ermöglicht ein zielgerichtetes Abklappern verschiedener Stationen, wo sich vereinzelt Typen aufhalten, die man aus München, vor allem aus dem Umkreis des Eisbaches und des Englischen Gartens kennt. So treffen Paula und Rafik bei ihrer Recherche auf einen Taxi-Fahrer, zwei berittene Polizisten und eine Surferin, auf Zentrumsbewohner, Neuperlacher und Zuagroaste, die ihnen kaum Auskunft über Ronja, aber viel über das multikulturelle Münchner Leben geben können.
Nebenbei entstehen so schöne Figurenporträts, die Regisseur Johannes Schmid nun mit einem großen Teil des Schauburg-Ensembles auf die Bühne bringt. Während Lucia Schierenbeck, Janosch Fries und Helene Schmitt als Ronja, Rafik und Paula feste Rollen spielen und die Freundschaft untereinander so heiter etablieren, dass Ronjas Verschwinden dann wirklich eine Lücke schlägt, bevölkern David Benito Garcia, Simone Oswald, Hardy Punzel und Michael Schröder das Umfeld gekonnt mit diversen Figuren.
Ein Stück, das Rätsel aufgibt
Zwischendurch setzen sie sich auch auf die aufsteigenden, aus Holz gebauten Publikumsränge, die Ausstatter Michael Kraus in einer Halb-Schlaufe um die Spielmitte arrangiert hat.
Die Wärme, die dieser Abend verströmt, die verspürt man auch in direkter sinnlicher Präsenz, wenn neben einem eine Schauspielerin oder ein Schauspieler sitzt. Schmerzlich absent ist jedoch Ronja, wobei Florian Wacker sie immer wieder als geisterhafte Solistin auftreten lässt, die in Monologen Einblicke in ihre Vergangenheit und ihr Seelenleben gibt. Es ist ein ziemlich verrätseltes Stück, nicht gerade leicht zu verstehen für Jugendliche ab 12, aber das Verschwinden einer Person macht einem ja auch noch mal verstärkt klar, wie wenig greifbar die Mitmenschen sind.
Video- und Musiksequenzen untermalen die diffuse Stimmung
Alles ist im Fluss, die Stimmungen ändern sich ständig. Die Musik von Taison Heiß changiert zwischen sanfter Elektronik und härteren, urbanen Klängen, und auch die eingestreuten Videos von Lukas März und Anna Holter, die über den Zuschauerrängen projiziert werden, bleiben bewusst diffus.
Die (Auto-)Lichter Münchens, durch die der Taxifahrer navigiert, leuchten unscharf. Über undeutliches Grün legen sich Bilder weißer Tanzschuhe in Bewegung, während Rafik die Vorstellung entwickelt, dass Ronja sich vielleicht in die Bäume zurückgezogen hat, um sich dort ihre eigene Stadt aufzubauen.
"Eisbachwelle": Ein Flüchtlingsschicksal
Die Sehnsucht nach einer Heimat treibt Menschen aus aller Welt nach München. Die Recherche in "Eisbachwelle" führt zum Schicksal einer Migrantin: Ronja ist mit ihrem Vater womöglich immer wieder von einem Land ins nächste geflüchtet, und vielleicht ging ihre Odyssee ja plötzlich weiter, ohne dass sie sich von ihren Freunden verabschieden konnte. Was mit ihr genau passiert ist, hält Wacker lange in der Schwebe, einfache Antworten bietet er nicht.
Gegen Ende simuliert das Ensemble auf dem Boden, wie das aussieht, wenn man von einem Bach weggerissen wird. Toll sieht das aus. Und gefährlich. Um den Strömungen der Zeit nicht ausgeliefert zu sein, braucht es starken Zusammenhalt.
Nächste Termine: 27. und 28. April, 11 Uhr; am 28. April auch um 19 Uhr, 29. April, 10 Uhr, Karten unter 089/23337155