„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am Cuvilliéstheater

Die Wege der Theaterspielpläne sind lang und trotzdem manchmal überraschend. Acht Tage nach der Inthronisierung des „America first“-Trolls Trump zum 45. US-Präsidenten platziert das Residenztheater das Werk eines Autors, der schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zutiefst desillusioniert den amerikanischen Traum als selbstzerstörerischen Albtraum schilderte. Die Gesellschaft, in der er lebt und an der er leidet, ist eine Familie im Delirium: Der Vater säuft, beide Söhne saufen auch und die chronisch kranke Mutter ist ein Schmerzmittel-Junkie.
Thomas Dannemann lässt die Amerika-Skepsis in seiner Inszenierung von „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ nur soweit mitschwingen, als sie in den Dialogen von Eugene O’Neill bereits stehen. Diese finden in einem beinahe leeren Raum statt: Bühnenbildner Johannes Schütz hängt vor die weiß gestrichene Brandmauer des Cuvilliéstheaters einen schwankenden Boden wie eine Riesenschaukel. Die karge Möblierung entlang der Wand bilden Schminktische aus der Theatergarderobe.
Die Theater-Metapher kaschiert üblicherweise das Fehlen einer zündenden Idee, ist hier aber entschuldbar, wenn auch allzu naheliegend: Das erst 1956 postum uraufgeführte Stück ist der gnadenlos autobiografische Nachlass eines Dramatikers. Die Figuren meinen sowohl Eugene O’Neill selbst als auch dessen engstes persönliches Umfeld. So ist die lange Reise der Familie Tyrone in die Nacht auch ein Künstlerdrama. Papa James ist ein verhinderter Shakespeare-Darsteller, dessen Ruhm und materieller Wohlstand auf nur einer einzigen Rolle beruht, mit der er Jahr für Jahr auf Tournee geht.
Oliver Nägele hat in seiner pumperlgesunden Kugelrundheit viel Platz für lebenslustige Jovialität als auch für durch Angst vor sozialem Abstieg krankhaft genährten Geiz. Wenn die Nacht kommt, übermannt ihn ätzender Selbsthass. Dann ist es für den älteren Sohn James junior, der vom Vater nicht nur den Vornamen und den Alkoholismus, sondern auch den Beruf erbte, Zeit fürs Bordell. Dort erhält er die Bestätigung, die ihm Familie und Arbeit vorenthalten. Aurel Manthei ist, wie so oft, ein faszinierender Kraftlackel mit Auftritt als nackter Narziss. Den wie sein Schöpfer an Tuberkulose und der eigenen Dichtung leidenden jungen Bruder Edmund spielt der ebenfalls physisch stark präsente Franz Pätzold sehr feinnervig als Kurt-Cobain-Wiedergänger.
Regisseur Dannemann versucht, trotz mancher Aufwallungen, seinen kranken Figuren jede Aufregung zu ersparen. Das geht bis zu einer in leberinsuffiziente Gelblichkeit getauchte Tonlosigkeit, die das Stück ohne Handlung mehrfach zum völligen Stillstand bringt. Spannung erzeugt das nicht immer, vor allem aber dann, wenn Sibylle Canonica – die zur Premiere nach einem Unfall auf Krücken spielen musste, die der Rheumakranken allerdings gut stehen – als Mama Mary leise und unendlich geduldig von ihrem Leidensweg zwischen Schwindsucht und Alkoholsucht berichtet.
Cuvilliéstheater, heute, 2., 11., 14., 19. Februar, 9. März, 19.30 Uhr, sonntags 19 Uhr, Karten unter Telefon 21 85 19 40