Eine Ballett-Intendanz? Ja, bitte!
Der gebürtige Tscheche Ivan Liska (65) steht seit 18 Jahren an der Spitze des Bayerischen Staatsballetts, einer der großen deutschen und internationalen Tanz-Compagnien. Mit Beginn der Spielzeit im Herbst übernimmt der Russe Igor Zelensky das Ruder. Ein Gespräch zum Abschied eines bedeutenden Tänzers und Ballettdirektors, der bis heute manchmal noch selbst auf der Bühne steht.
AZ: Der Dachverband Tanz Deutschland hat das „Tanzjahr 2016“ ausgerufen. Wie steht es um diese Form des Musiktheaters in Deutschland?
Ivan Liska: Wir haben, ungeachtet von manchen drohenden Theaterschließungen, eine sehr lebendige Tanzszene. Es gibt mehr als 60 Ensembles vom kleinen Opernballett bis zu den großen Compagnien wie dem Bayerischen Staatsballett oder den Truppen in Hamburg, Berlin und Stuttgart. Auch die freie Szene ist sehr vielfältig. Allein in Berlin gibt es 80 derartige Ensembles.
Und ästhetisch?
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wirken viele internationale Einflüsse auf Deutschland. Die Traditionslinie des deutschen Ausdruckstanzes wurde ja leider während der Nazizeit unterbrochen. Nach dem Krieg kam es dann zu einem großen Aufbruch, geprägt von großartigen Choreographen wie John Cranko, der das „Stuttgarter Ballettwunder“ schuf, William Forsythe in Frankfurt am Main oder John Neumeier in Hamburg, dessen Ensemble ich mehr als zwanzig Jahre angehörte. Bis heute ist dieser Kreativitätsschub ungebrochen.
Was ist das Markenzeichen speziell des Bayerischen Staatsballetts?
Die Qualität natürlich und die Breite des Repertoires, von der Klassik über die Neoklassik und Moderne bis zum zeitgenössischen Tanz. Wir können keine Nischen bedienen, weil wir ja in unseren 70 Vorstellungen ein Haus mit 2000 Plätzen füllen müssen. Da muss für jeden etwas dabei sein. Schließlich werden wir großenteils aus Steuergeldern finanziert.
Wie aufgeschlossen ist das Münchner Publikum für Zeitgenössisches?
Wir haben unser Publikum allmählich herangeführt an die Avantgarde, mal durch freundliche, mal durch Schockaufführungen. Sie sollen ins Theater gehen, neugierig sein, vielleicht mit neuen Erlebnissen nach Hause gehen – und wiederkommen.
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Personelle Veränderungen mit Antritt eines neuen Ballettdirektors sind ja nichts Ungewöhnliches. Aber diesmal gingen zwei Ihrer Solisten an die Presse und beklagten, der neue Chef, Igor Zelensky, mache „tabula rasa“.
Sie haben Recht, solche Veränderungen sind im Theaterbetrieb normal. Allerdings darf man eine Ballettcompagnie nicht mit einem Schauspielensemble vergleichen. Ich kenne wenige Schauspielstücke, wo die Schauspieler im Chor sprechen.
Und jetzt ist mit Irène Lejeune auch eine ihrer wichtigsten Mäzene von Bord gegangen.
Das ist natürlich sehr bedauerlich. Ich habe allerdings auch erst zehn Jahre ohne dieses Geld gearbeitet.
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Herr Zelensky will neben München weiter das Moskauer Stanislawsky-Ballett leiten oder beraten. Kann solch eine Doppelfunktion funktionieren?
Da ich meine Zeit und Kraft nur München gab, kann ich das nicht beurteilen.
Hat sich die finanzielle und künstlerische Eigenständigkeit des Staatsballetts von der Staatsoper, die Ihre Vorgängerin Konstanze Vernon erstritten hatte, bewährt?
Unbedingt.
Sollte das Amt des Ballettdirektors, das Sie bislang innehatten, zu einer echten Intendanz aufgewertet werden?
Auch hierzu ein klares Ja. Dann wäre man auf Augenhöhe, wenn es mal Probleme gibt.
Würden Sie es begrüßen, wenn der Generalmusikdirektor der Staatsoper auch mal ein Ballett dirigieren würde? Zuletzt gab es das einmal unter Kent Nagano.
Kirill Petrenko hat ungeheuer viel Arbeit, und seine Kräfte sind begrenzt. Vielleicht wird es mein Nachfolger mal wieder einrichten können. Ein Ballett zu dirigieren, ist aber nicht ganz leicht. Die Verständigung mit den Tänzern, das Abnehmen der Tempi ist ein ganz eigenes Kapitel.
Was machen Sie nach dem Ende Ihrer Amtszeit?
Ich leite schon seit drei Jahren die Münchner Heinz-Bosl-Stiftung. Manchmal stehe ich sogar mit meinen 65 Jahren noch selbst auf der Bühne. Es gibt Choreographen, die besonders gerne mit älteren Tänzern arbeiten. Ältere Körper strahlen etwas ganz Besonderes aus. Ich nenne es: Körper mit Gedächtnis.
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