Interview

Ein starker Lebensfunke: Steven Scharf über "Sankt Falstaff"

Der Schauspieler gibt als Falstaff seinen Einstand im Ensemble des Residenztheaters in einer Shakespeare-Überschreibung
von  Michael Stadler
Steven Scharf (re.) als John Falstaff mit Johannes Nussbaum als Königssohn in "Sankt Falstaff".
Steven Scharf (re.) als John Falstaff mit Johannes Nussbaum als Königssohn in "Sankt Falstaff".

Gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Anna Drexler hat Steven Scharf vor gut zehn Jahren sehr einprägsam an den Münchner Kammerspielen gespielt. Dann zogen beide nach Bochum, wo sie von 2018 bis 2024 am Schauspielhaus engagiert waren. Jetzt sind sie zurück nach München gezogen und fest im Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels. Während Anna Drexler ihren Einstand bereits mit "Die Wildente" hatte, ist Steven Scharf jetzt als "Sankt Falstaff" zu sehen. Die Inszenierung von Alexander Eisenach hat morgen Premiere im Residenztheater.

AZ: Herr Scharf, Sie sind seit ein paar Monaten zurück in München. Hat die Stadt sich in Ihren Augen stark verändert?
STEVEN SCHARF: Ich habe den Eindruck, sie ist voller geworden! In den Straßen und U-Bahnen ist alles noch ein bisschen gedrängter, zumindest fühlt es sich für mich so an. Aber es ist fantastisch, wieder hier zu sein. Ich finde München einfach irre schön. Damals konnten wir nicht nah genug an den Kneipen und dem kulturellen Leben der Stadt sein. Jetzt haben wir zwei kleine Kinder, Anna und ich, und sind mit ihnen in den Münchner Westen gezogen, wo es ein bisschen ruhiger ist.

Sie sind im Ensemble des Residenztheaters gelandet, werden sich aber vor allem an Ihre Zeit an den Kammerspielen erinnern. Dort spielten Sie öfters unter der Regie von Stephan Kimmig - der jetzt ebenfalls am Resi inszeniert.
Und ich würde mich natürlich freuen, wenn ich mit ihm hier wieder zusammenarbeiten kann. Genauso aber auch mit Ulrich Rasche, mit dem ich in Bochum zuletzt "Warten auf Godot" gemacht habe. Oder Claudia Bauer, die am Residenztheater Hausregisseurin ist und vor zwanzig Jahren das Theaterhaus Jena leitete, wo ich mein erstes Engagement hatte. Gleichzeitig habe ich total Lust auf neue Begegnungen wie jetzt mit Regisseur Alexander Eisenach und dem Ensemble.

Steven Scharf - hier bei der Verleihung des österreichischen Theaterpreises Nestroy. Er wurde 1975 in Thüringen geboren und studierte in Rostock. Er spielte u.a. am Theaterhaus Jena und Theater Basel, bevor er 2007 an die Kammerspiele ging. Seit dieser Spielzeit gehört er zum Ensemble des Residenztheaters.
Steven Scharf - hier bei der Verleihung des österreichischen Theaterpreises Nestroy. Er wurde 1975 in Thüringen geboren und studierte in Rostock. Er spielte u.a. am Theaterhaus Jena und Theater Basel, bevor er 2007 an die Kammerspiele ging. Seit dieser Spielzeit gehört er zum Ensemble des Residenztheaters. © picture alliance/dpa/APA

Bei Ihrem Einstand mit "Sankt Falstaff" handelt es sich um eine Überschreibung von Shakespeares "Heinrich IV.". Ewald Palmetshofer hat in seinen Text starke Bezüge zum Heute eingebaut; es herrscht unter den Figuren ein zeitgemäßer, zum Teil rauer Umgangston.
Das macht auch teilweise den Humor des Textes aus: dass er mitunter komplett im Versmaß geschrieben ist, diese "fucks" und Kraftausdrücke aber den Zorn und die Wut der Figuren spürbar machen. Wobei in den oberen Etagen sehr eloquent, fast schon wie in Fernseh-Serien gesprochen wird. Die Dialoge sind sehr schnell, das hat manchmal was Clowneskes in seiner Geschwindigkeit, etwas Verführerisches, aber manchmal denkt man sich, puh, gerade dieser Herrschaftsebene sollte man nicht auf den Leim gehen. Letztlich herrschen die durch Gewalt.

"Wir sind schon abgerutscht"

Shakespeares Stück spielt in einer Umbruchsphase: Richard II. wurde gestürzt. Heinrich IV. hat die Macht übernommen, ist jedoch alt und krank und sucht einen Nachfolger. Wobei es Rebellen gibt, die nach dem Thron schielen.
In der Version von Ewald Palmetshofer ist das ähnlich, aber sogar verschärft: Das Stück ist bei ihm klar in einer Diktatur verortet, nachdem eine mehr oder minder demokratische Staatsform abgeschafft wurde. Wie ein Kollege von mir, Vincent Glander, bei den Proben bemerkte, ist es eigentlich ganz erleichternd, dass in dem Stück die Demokratie nicht bergab geht, sondern bereits bergab gegangen ist. So gerät das Ganze nicht zum Lehrstück: dass man denken muss, oh, wir müssen aufpassen, dass wir nicht irgendwie abrutschen. Sondern wir sind schon abgerutscht.

Heinrichs Sohn Harri würde sich für die Nachfolge anbieten, hängt aber lieber mit Falstaff in "Frau Flotts Containerkneipe" ab. Was ist das für eine Kneipe?
Es ist eher ein Club, auf jeden Fall queer und ziemlich rough. Es macht sich dort ein kleiner Spalt Freiheit auf: Wie man sich anzieht, wie man sich körperlich gibt, welche sexuelle Ausrichtung man auslebt, ist dort sehr offen, alles ist erlaubt und möglich. Die Wirtin, Frau Flott, pflegt einen ziemlich rüden Umgangston, aber sie will diesen Ort der Freiheit auch vehement schützen.

Steven Scharf (re.) als John Falstaff mit Johannes Nussbaum als Königssohn in "Sankt Falstaff".
Steven Scharf (re.) als John Falstaff mit Johannes Nussbaum als Königssohn in "Sankt Falstaff". © Oliver Russol

Falstaff stammt aus der Unterschicht und ist eigentlich eine Randfigur, eine vom gesellschaftlichen Rand. In der Theatertradition hat er aber eine zentrale Bedeutung.
Ja, das ist wirklich seltsam und geheimnisvoll. Ich habe während meiner Vorbereitung die Tieck-Übersetzung von Shakespeares "Heinrich IV." gelesen, um diesem Mythos Falstaff auf die Spur zu kommen. Tiecks Übersetzung war die erste auf Deutsch und ich war verblüfft, dass man bei ihm von Falstaff gar nicht so viel erfährt. Weil Tieck sich teilweise geweigert hat, die Kneipenszenen zu übersetzen. Da steht dann sowas wie: Die folgende Szene tut nichts zur Sache, die ist wirklich unter aller Sau. Was dieser Falstaff für Witze macht, das muss man wirklich nicht genau wissen!

"Eine große Liebesgeschichte"

In der Version von Palmetshofer wirkt Falstaff gar nicht so heiter. Einmal offenbart er Harri, dass seine Lügen, seine Fantasie und sein Witz sein einziger Weg sind, um sich aus seiner Unterlegenheit herauszuwinden und ein bisschen Würde zu bewahren.
Das ist ein zentrales Thema für ihn. Das Stück ufert in alle möglichen Richtungen aus, es trägt diese Shakespeare-Tradition in sich, mitsamt dieser Figur, ihrem Alkoholismus, ihrem massiven Körper. Ewald Palmetshofer hat das in seiner Überschreibung noch zugespitzt: Falstaff ist bei ihm gar kein Spaßmacher mehr, sondern einer, der sich wirklich mit Spielen über Wasser hält.

Rein körperlich passen Sie eigentlich nicht zu dieser Rolle. Tragen Sie ein Fat-Suit?
Nein, so viel kann ich schon verraten. Wir haben uns bei der Gestaltung der Rollen eher auf die sozialen Unterschiede konzentriert, die sich gerade zwischen Falstaff und Harri manifestieren.

Wobei die beiden nach einer Rettungsaktion von Falstaff Freunde werden.
Ja, es ist bei uns auch klar, dass das für Falstaff eine große Liebesgeschichte ist. Die beiden tauchen gemeinsam in diese Kneipenwelt ab, der Prinz natürlich mit wesentlich weniger Risiko: Er kann jederzeit nach oben zurückkehren und diese Unterschichtserfahrung abstreifen.

Alexander Eisenach inszeniert "Sankt Falstaff".
Alexander Eisenach inszeniert "Sankt Falstaff". © Joel Heydt

Falstaff wird von Harri stark enttäuscht. Ist er eine bemitleidenswerte Figur?
Bemitleidenswert hieße für mich, dass Falstaff nur ein Opfer der Umstände wäre. Aber er handelt ja auch, gerade am Schluss! Als er sich einmal eine Unterhaltung mit dem König vorstellt, sagt er: Du stiehlst uns unsere Zeit! Dieser Satz trifft mich immer wieder. Wir denken, so eine Diktatur geht ja irgendwann vorbei. Lasst halt mal die AfD machen, ihr werdet schon sehen, das wird schiefgehen. Aber bis das schiefgeht, geht bei den Menschen, die das miterleben müssen, viel Lebenszeit verloren. Chancen werden verpasst; Biografien nehmen in dieser Zeit starke Kurven.

Das klingt alles eher dramatisch und tragisch. Ist das Ganze überhaupt noch eine Komödie?
Ich habe den Verdacht, dass es bei uns umgekehrt ist, wie man es vom Original her kennt. Bei Shakespeare findet in der oberen Ebene das Königsdrama statt; unten ist die Kneipenebene, die davon abgetrennt ist und der Unterhaltung dient. Bei uns ist oben alles sehr smart, pragmatisch, kalt, was aber auch witzig ist. Die untere Ebene hat ein anderes Zeitmaß. Da denkt man sich ständig, oha, gleich fließen wieder Körperflüssigkeiten. Blut, Schweiß und Tränen. Die Falstaff-Welt ist bei uns nicht volkstümlich, da findet eine dunkle Party mitten in der Nacht statt. Mit echter Lebensfreude, wie man sie in so einer Lücke von Freiheit innerhalb einer Diktatur ernsthaft erlebt.

Ewald Palmetshofer hat Shakespeare überschrieben.
Ewald Palmetshofer hat Shakespeare überschrieben. © Joel Heydt

Und mit Falstaff im Zentrum.
Bei Shakespeare ist er so eine Art Narr, der mit seinen Späßen die Herrschaftselite karikiert, zu der er selbst auch gehören möchte. Bei uns ist er eine zerrissene Figur, die von sich selbst sagt: Ich bin so voller Einsamkeit, dass ich jeden Moment denke, wann stürze ich ein? Aus dieser Haltung gewinnt er aber eine Souveränität, einen Lebensfunken, eine beachtliche Kraft.

Apropos Kraft: Die werden Sie wohl auch als Vater brauchen. Woher nehmen Sie die Energie, wenn einen nachts die Kinder wachhalten und am nächsten Tag Aufführung ist?
Ach, daran haben wir uns beide in den letzten Jahren gewöhnt. Die Arbeit, das Theater sind jetzt die Freizeit. Das ist die Zeit, die man für sich hat. Das ist der easy job: ins Theater zu gehen. Das viel Aufwändigere ist die Kinderbetreuung. Wir teilen sie uns fifty-fifty auf und wissen, was die oder der andere gerade zu Hause leistet. Vielleicht habe ich früher gedacht, o Gott o Gott, wie soll das alles gehen? Aber es geht natürlich alles. Weil es sich auch gegenseitig beflügelt: Durch die Kinder wird zu Hause ebenfalls viel Theater geboten. Echtes, reales Spiel. Mit der Zeit merkt man: Man kann auch spielen, wenn man ein bisschen müde ist. Man lernt, den Vorgängen zu vertrauen und weiß: Es geht schon. Es hat alles seinen natürlichen Fluss. Erholt sich bestimmt auch wieder.

Wenn Ihre Kinder spielen, sind Sie dann eher auf der Falstaff- oder Königsebene?
Ich denke, die Falstaff-Ebene liegt ihnen mehr. Sie spielen natürlich keine konkreten Rollen, aber Spielen hat bei ihnen so etwas Existentielles, so eine Unbedingtheit - sie sind dabei völlig im Moment. Spielen ist lustig, aber auch wirklich seriös. Spielen ist Leben ausprobieren. Darin ähneln sie Falstaff.

Für die Premiere am 22. Januar gibt es noch wenige Restkarten unter Telefon 089-2185 1940 und unter residenztheater.de. Wieder am 26. Januar sowie 4., 15. und 21. Februar

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