Ein Rückblick auf 150 Jahre Gärtnerplatztheater

Ein Rückblick auf 150 Jahre Gärtnerplatztheater zum runden Jubiläum am 4. November
Robert Braunmüller |
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Am 4. November 1865 wurde in der Isarvorstadt das „Actien-Volkstheater“ eröffnet. Heute ist das Gärtnerplatztheater eines der drei Bayerischen Staatstheater. Derzeit wird das Theater saniert, in einem Jahr wird es – hoffentlich – wiedereröffnet. Am Mittwoch erscheint ein Buch zum 150. Geburtstag, im Januar zeigt das Deutsche Theatermuseum eine Ausstellung, die Stefan Frey kuratiert. Er lässt im Interview die Geschichte des Hauses im Schnelldurchgang passieren.

AZ: Herr Frey, warum wurde das Gärtnerplatztheater gebaut?

STEFAN FREY: In München gab es lange kein festes Volkstheater: Die Hofbühnen duldeten keine Konkurrenz. Der Schauspieler Ferdinand Lang hat diesen Missstand einmal auf der Bühne des Nationaltheaters besungen und für sein Couplet zwei Tage Arrest kassiert.

Wie kam der Theaterbau dann doch noch zustande?

Anfang der 1860er Jahre formierte sich eine Bürgerinitiative. König Ludwig II. erteilte 1864 die Genehmigung, die seine Vorgänger verweigert hatten. 6 000 Aktien wurden ausgegeben und das Theater innerhalb eines Jahres errichtet. Architektonisch hatte man keine besonderen Ambitionen: Der Zimmerermeister Franz Michael Reiffenstuel baute eine verkleinerte Kopie des Nationaltheaters.

Die damalige Debatte erinnert ein wenig an die heutige Konzertsaal-Diskussion.

Das Theater sollte auch einen neuen Stadtteil aufwerten. Hinter dem Projekt stand der Baron von Eichthal, dem der Grund zwischen Viktualienmarkt und Isar gehörte. Das ganze Stadtviertel wurde gleichzeitig mit dem Theater hochgezogen.

Was gab es zur Eröffnung vor 150 Jahren?

Ein allegorisches Festspiel und die Münchner Version von Offenbachs „Salon Pitzlberger“ unter dem Titel „Eine musikalische Soirée in der Vorstadt“.

Waren Operetten von Offenbach wirklich Volkstheater? Er hat sie doch für großbürgerliche Pariser komponiert.

Es hat auch nicht funktioniert. Man konnte nicht gleichzeitig für Kleinbürger und Handwerker das Repertoire des ehemaligen Volkstheaters in der Au spielen und zugleich das neue Bürgertum im Gärtnerplatzviertel bedienen. Die Direktoren wechselten rasch, 1868 war das Theater bankrott.

Und dann?

Ludwig II. kaufte es, dann gehörte es eine Zeitlang zu den Hofbühnen, später wurde es wieder verpachtet. Auf dem Spielplan standen Volksstücke und Bauerndramen, aber auch Possen und Operetten.

Warum war München im Unterschied zu Wien und Berlin nie eine Operettenstadt?

Die hiesige Theaterlandschaft war lange provinziell und auf die Hofbühnen konzentriert, so dass es keine echte Konkurrenzsituation gab. Das war der Operette abträglich – genauso wie das politische Klima. Es gab in diesem Genre ja besonders viele jüdische Künstler. Aber schon 1932 war man stolz darauf, am Gärtnerplatz ohne jüdische Sänger zu spielen.

Was war der größte Skandal in der Geschichte des Theaters?

Eine Aufführung von Ernst Kreneks Jazz-Oper „Johnny spielt auf“. Eine Aufführung im Nationaltheater wäre undenkbar gewesen. Aber nach dem Riesen-Erfolg an der Wiener Staatsoper engagierte der Intendant Hans Warnecke die dortigen Sänger 1928 für ein zweiwöchiges Gastspiel. In Wien brach der Sprung des Sängers Alfred Jerger auf einen Flügel den Bann. In München musste die Vorstellung unter Tumulten abgebrochen werden, weil die Nazis viele Karten aufgekauft hatten. Deshalb trauten sich die Leute nicht mehr hinein.

Was passierte in der NS-Zeit?

In den Dreißiger Jahren ging es finanziell abwärts. 1937 verkaufte der Wittelsbacher Ausgleichsfonds das Theater an den Staat. Das Gärtnerplatztheater wurde als hochsubventionierte „Staatsoperette“ mit einer Inszenierung der „Fledermaus“ wiedereröffnet.

Hitler soll die Premiere vor dem Ende verlassen haben. Warum eigentlich?

Es gibt einen langen Brief des Gauleiters Adolf Wagner an den Generalintendanten Oskar Walleck, der eine Reihe von Kritikpunkten enthält, die möglicherweise auf Hitler zurückgehen: Der Salon von Eisenstein sei nicht gründerzeitlich genug gewesen, die Dessous der Tänzerinnen dürften nicht schwarz sein, sondern weiß. Der Regisseur rechtfertigte sich, er habe die „Fledermaus“ im nationalsozialistischen Sinn als ernstes Kunstwerk interpretieren wollen. Die Inszenierung wurde abgesetzt – zwei Jahre später gab es eine neue „Fledermaus“ im Revuestil mit Karl Valentin als Frosch.

1941 trat das Ensemble vor der Wachmannschaft des KZ Dachaus auf.

Der damalige Intendant Fritz Fischer war sehr umstritten und konnte auch keinen vollständigen Ariernachweis erbringen. Der Besuch in Dachau kommt mir wie ein Deal vor. Der Lagerkommandant hat sich mit einem Fotoalbum für den „stimmungsvollen Nachmittag“ bedankt. Auf den Bildern ist auch Johannes Heesters zu sehen. Ob er auch gesungen hat, war Gegenstand eines Rechtsstreits mit seiner Witwe.

Wie ging es nach 1945 weiter?

Das Theater war nur leicht beschädigt. 1948 wurde das Haus mit „Eine Nacht in Venedig“ wiedereröffnet. Zeitweise spielte die Bayerische Staatsoper hier Mozart und andere kleiner besetzte Werke – so entstand die Tradition, am Gärtnerplatz Spielopern aufzuführen. Die Intendanten Kurt Pscherer, Hellmuth Matiasek, Klaus Schultz und Ulrich Peters führten das Haus wie ein typisches Stadttheater, als reine Ergänzung des Nationaltheaters.

Und heute?

Josef Köpplinger versucht im Unterschied zu seinen Vorgängern, die Operetten-Tradition offensiver zu vertreten. Nicht ganz so offensiv wie Barry Kosky an der Komischen Oper in Berlin. Aber passend für München, weil er auch ein jüngeres Publikum ansprechen will. Damit setzt er jedenfalls Zeichen für die Aufwertung der Genres, die ja gerade im Gange ist.

Die Generalsanierung des Theaters ist nicht zum Jubiläum fertig geworden. Warum wird auch Ihre Ausstellung erst im Januar nachgereicht?

Die Jürgen-Rose-Ausstellung des Theatermuseums war schon lange mit der Akademie der Schönen Künste bis Ende Oktober terminiert. Wegen des Ab- und Aufbaus hätte das Jubiläumsdatum ohnehin nicht eingehalten werden können. In der Adventszeit werden die Museen erfahrungsgemäß weniger frequentiert. Es macht also mehr Sinn, am Tag nach der Premiere von Offenbachs „Salon Pitzelberger“ zu eröffnen – immerhin war diese Operette das Eröffnungsstück vor 150 Jahren.

Stefan Frey: „Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen: 150 Jahre Gärtnerplatztheater“, Henschel, 224 S., 34,95 Euro, am 4. November

 

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