Ein Mann der Avantgarde

Der Regisseur und Intendant Otto Falckenberg prägte ab 1917 für fast 30 Jahre die Münchner Kammerspiele. Die Nazi-Zeit überstand er mit Klassikern in aktiver innerer Emigration
Robert Braunmüller |
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An ihn erinnern die Falckenbergstraße neben dem Theater und die Falckenbergschule, eine den Kammerspielen angegliederte städtische Schauspielschule. Das Deutsche Theatermuseum widmete ihm 2005 eine Ausstellung. Die Kuratorin erklärt die Bedeutung des Regisseurs und langjährigen Intendanten für die Kammerspiele, die im Oktober ihr 100-jähriges Bestehen feiern.

AZ: Frau Pargner, wer war dieser Otto Falckenberg?
BIRGIT PARGNER: Falckenberg hat fast 30 Jahre lang das künstlerische Profil dieses Theaters geprägt. 1914 lud ihn der Intendant Erich Ziegel ein, sein „Deutsches Weihnachtsspiel” zu inszenieren. Ein Jahr später hatte er großen Erfolg mit der deutschen Erstaufführung der „Gespenstersonate” im Rahmen eines Strindberg-Zyklus. Ziegel engagierte ihn daraufhin als Oberspielleiter, 1917 wurde Falckenberg sein Nachfolger als Intendant.

Was machte Falckenberg vor seiner Zeit an den Kammerspielen?
Er wurde 1873 in Koblenz geboren. Ab 1896 lebte Falckenberg in München, wo er sich sich mit Novellen, Gedichten und dramatischen Texten als Schriftsteller einen Namen machte. Er inszenierte früh beim „Akademisch-Dramatischen Verein”, dessen Aufführungen von avantgardistischer Dramatik im Schauspielhaus an der Maximilianstraße gezeigt wurden, in das 1926/27 die Kammerspiele einzogen. 1901 war er Mitbegründer des Kabaretts „Die Elf Scharfrichter”. Dort trat er als Peter Luft auch in eigenen Parodien auf. 1906 erhielt er das Angebot, Nachfolger Ernst von Possarts als Leiter des Hofschauspiels zu werden.

Warum schlug er das aus?
In einem Brief heißt es, er habe zurückgeschreckt, diesen „Augiasstall” auszukehren. Trotz seiner Erfolge machte Falckenberg eine Selbstfindungskrise durch, in der er sich einer Psychoanalyse unterzog. 1911 hörte er ganz auf zu schreiben und bereiste Italien und Frankreich.

Ihre Ausstellung hatte den Titel „Regiepoet der Münchner Kammerspiele”. Was war damit gemeint?
Bei Falckenberg stand das dichterische Wort im Zentrum. Er wollte das Wesen einer Dichtung auf die Bühne bringen. Alles andere war Dekoration. In seiner Arbeitsweise blieb er Schriftsteller. Man kann das an seinem Regiebuch zur Uraufführung des zweiten und dritten Teils von August Strindbergs „Nach Damaskus” sehen: Falckenberg hat dieses umfangreiche Stationendrama erst durch kluge Striche in eine spielbare Form gebracht.

Was inszenierte er am liebsten?
Falckenberg war ein Regisseur der Avantgarde, und damit der Ur- und Erstaufführungen. Er entdeckte 1922 Brecht als Dramatiker, spielte Georg Kaiser und andere Zeitgenossen. Um 1930 wurde er wegen seiner Inszenierungen zeit- und gesellschaftskritischer Stücke von der rechten Presse als „Kulturbolschewist” angegriffen. Während des Dritten Reichs musste er sich auf Klassiker konzentrieren. Falckenberg konnte weitgehend verhindern, dass Nazi-Stücke Einlass ins Repertoire fanden.

Wie überstand er die NS-Jahre?
1933 wurde er verhaftet, man durchsuchte sein Haus. Aber er blieb Intendant der Kammerspiele. Er versuchte in einer aktiven inneren Emigration sein Theater durch diese Zeit zu retten. Lokale Nazis versuchten ihn zu entmachten, doch Hitler ordnete an, Falckenberg freie Hand zu lassen. Er blieb alleiniger künstlerischer Leiter und erreichte sogar, dass die dauernd vom Bankrott bedrohten Kammerspiele 1939 städtisch wurden.

Die Amerikaner verweigerten Falckenberg 1945 die Lizenz. Was tat er dann?
Er lebte in Starnberg und unterrichtete Schauspieler. 1947, unmittelbar nach einem zermürbenden Entnazifizierungsverfahren, das ihn vollständig rehabilitierte, starb er – vermutlich an Leberkrebs.

Warum galten die Kammerspiele unter Falckenberg als Talentschmiede?
Er hatte die Gabe, Schauspieler zu lenken und sie selbst das finden zu lassen, auf das er hinauswollte. Die Schauspielerin Inge Birkmann wollte von ihm während einer Probe wissen, wie sie in Lessings „Emilia Galotti” aufzutreten habe. Er sagte ihr: „Das weiß ich nicht. Sie sind hier zu Hause. Es ist Ihr Raum.”

Welche Beziehung hatte er zu der 1946 gegründeten Schauspielschule, die seinen Namen trägt?
Falckenberg hat die Benennung nach seinem Namen nicht mehr erlebt. Immerhin gilt sie als eine der renommiertesten deutschen Schauspielschulen. Falckenberg hatte es immer gestört, dass der Nachwuchs mehr schlecht als recht von Schauspielern in Privatstunden unterrichtet wurde. Auch dass er selbst während der Proben oft ganz von vorne mit ihnen anfangen und sie ausbilden musste. Er wollte eine staatlich subventionierte Schule für alle künstlerischen Sparten des Theaters – wie die Bayerische Theaterakademie im Prinzregententheater. Ihr Gründer August Everding kannte die 1948 unter dem Titel „Über die Kunst des Schauspielers” erschienenen Gespräche Paul Gebharts mit Falckenberg.

Birgit Pargner: „Otto Falckenberg – Regiepoet der Münchner Kammerspiele” (Henschel, 240 Seiten, 20.99 Euro, nur noch im Museum, Galeriestraße 4a, erhältlich)

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