Dreckiger als beim Edel-Schnitzler
Es ist das Opus magnum von Residenztheater-Chef Martin Kušej in dieser Spielzeit. „In Agonie“ vereint drei Dramen des kroatischen Autors Miroslav Krleža zu einem sechsstündigen Theatermarathon über einen Zeitraum von 1913 bis 1922. Die Koproduktion mit den Wiener Festwochen hat heute ihre München-Premiere.
AZ: Herr Kušej, wer bitte ist Miroslav Krleža?
MARTIN KUSEJ: Er war einer der bedeutendsten jugoslawischen Autoren des 20. Jahrhunderts, geboren am am Ende des 19. Jahrhunderts in Zagreb. Er wird hierzulande leider nicht wahrgenommen - das ist oft ein Problem bei Vertretern der sogenannten „kleinen Literaturen“. Er war ein undogmatischer Kommunist und ein enger Vertrauter Titos. Vielleicht steht auch das seiner Rezeption im Weg.
Wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?
Seit ich vor vielen Jahren in Slowenien gearbeitet habe, trage ich den Gedanken mit mir herum, seine Texte zu inszenieren. Sie sind sehr theatralisch mit spannenden psychologischen Figuren, zugespitzten Konflikten und großen Emotionen. Interessiert hat mich sein Blick von einer Randlage Europas auf das Geschehen vor 100 Jahren. Diese Perspektive ist mir als Kärntner Slowene nahe.
Für „In Agonie“ spannen Sie eigenständige Stücke zusammen. Was verbindet die drei Werke?
Wir spannen einen Bogen von der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis in die Nachkriegszeit. Ich lasse „Die Glembays“ unmittelbar vor Kriegsausbruch spielen. Ich möchte den Zusammenbruch dieser Familiendynastie mit dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie koppeln. Die individuelle Katastrophe dieser Familie bedeutet auch die große politische Katastrophe. „Galizien“ spielt an der Ostfront. Krleža war dort selbst stationiert und seine Schilderungen sind von erschreckender Radikalität. „Agonie“ spielt im Zagreb der Nachkriegszeit und zeigt einen Ex-Kavallerieoffizier, seine junge Gattin und einen Rechtsanwalt, die mit den Auswirkungen des Krieges nicht zu Rande kommen.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird 2014 hundert Jahre her sein. Wollten Sie der erste sein, der das Jahrhundert-Jubiläum begeht?
Es geht mir nicht um das Jubiläum, und schon gar nicht darum, es als erster zu thematisieren. Unsere Beschäftigung mit dieser Zeit zeigt vielmehr, dass diese Ereignisse immer noch nachwirken. Meine These für dieses Projekt ist, dass die fundamentale Erfahrung dieser Zeit von Infragestellung der eigenen Identität, von Orientierungslosigkeit, des Verlusts von Werten, uns in einen unbewusst weiter wirkenden Zustand der Agonie gebracht hat. Das wird leider auch deutlich, wenn man jetzt Europa betrachtet.
Das Fin-de-siècle kennen wir von Schnitzler, die Schrecken des Kriegs von Remarque. Gibt es hier eine besondere Position eines kroatischen Schriftstellers?
Die gibt es sicherlich. Zum ersten war für Krleža wie für andere Kroaten und Slowenen der Erste Weltkrieg und der damit verbundene Zusammenbruch der Monarchie sicherlich auch mit der Hoffnung auf die Vereinigung mit Serbien zu einem Reich der Südslawen verbunden. Zum anderen ist auch seine Sprache eine andere - irgendwie dreckiger und provinzieller, nicht so wienerisch edel wie bei Schnitzler.
Haben Sie noch mehr Ausgrabungen aus der Literatur der Balkan-Länder in der Schublade?
Es gibt in der slowenischen Dramatik noch einige Schätze zu heben. Zum Beispiel Ivan Cankar oder Slavko Grum. Und schließlich gehören auch viele österreichische Autoren für mich durchaus in den balkanischen Dunstkreis. Aber nächste Spielzeit werde ich mich dann erst einmal mit Johann Wolfgang von Goethe „Faust I“ beschäftigen – ein Werk, das ganz sicher nicht mehr frei von deutscher Geschichte zu denken ist.
Residenztheater, Samstag und Sonntag, 8., 9., Juni. 17 Uhr, Tel.: 21 85 19 40