Dostojewskis „Dämonen“, adaptiert von Felix Hafner

Felix Hafner adaptiert Dostojewskis Roman „Die Dämonen“ im Volkstheater
von  Michael Stadler
Es lebe die Revolution. Oder auch nur eine Revolte – hier mit Jörg Lichtenstein und Jonathan Hutter im Volkstheater.
Es lebe die Revolution. Oder auch nur eine Revolte – hier mit Jörg Lichtenstein und Jonathan Hutter im Volkstheater. © Gabriela Neeb

Felix Hafner adaptiert Dostojewskis Roman „Die Dämonen“ im Volkstheater

Die Revolution schleicht sich an, taucht aus dem Dunkeln langsam hervor. Aber die Protagonisten des Widerstands, die zu Beginn von der hinteren Wand der Bühne im Volkstheater sich langsam nach vorne bewegen und dabei ihre Körper krümmen, als ob sie von ihren inneren Dämonen bereits deformiert werden, bilden nicht lange eine Einheit, sondern splitten sich bald in diverse Positionen auf. Darin liegt ja auch ein Problem jeder Revolution: Dass die einzelnen Teile einer Gruppe viel mehr sind als das Ganze und jeder seine eigene Idee hat, so dass alle kaum an einem Strang ziehen können.

„Die Welt als Wille und Vorstellung“, Titel von Schopenhauers Hauptwerk, ist eine Art Mantra, das sich durch Felix Hafners Bühnenadaption von Dostojewskis Roman „Die Dämonen“ zieht. Jeder möchte sich bei Dostojewski die Welt nach seinem Willen gestalten. Nur leider hat fast jeder einen anderen Willen, eine andere Vorstellung vom Falschen und Guten. Es ist ein Kampf der Ideen, den Hafner mit seinem vornehmlich jungen Ensemble in Szene setzt, auf einer zunächst leeren, dunklen Bühne, die von Windmaschinen flankiert wird und auf der bald schwarze Flaggen wehen.

Die Anarchie wirbelt alles durcheinander

Als Ausrufezeichen des Anarchismus haben diese Flaggen eine gewisse Symbolkraft, aber das Schwarz steht vielleicht auch für einen Mangel an programmatischer Klarheit. Es fehlt buchstäblich die Farbe, und so kann einiges leicht weggepustet werden.

Das terroristische Geheimkomitee aus dem Anfang der 1870er im vorrevolutionären Russland erschienenen Roman lässt Hafner wie einen Debattierclub auftreten, die Ansichten prallen gerne auch mal im Kreis aufeinander, flaggenumringt. Die Redebeiträge klingen dabei noch sehr nach Prosa, was den Zuhörern im Zuschauerraum doch einiges an konzentriertem Lauschen abverlangt. Angeführt wird die Truppe von dem Anarchisten Werchowenskij, den Pola Jane O’Mara mit starkem Stand und leicht fanatischem Furor spielt, nicht ohne im Vorbeigehen einen Kuss mit dem liberal gesinnten Liputin (Jonathan Hutter) auszutauschen.

Die Anarchie wirbelt bei Hafner auch die Geschlechterzugehörigkeiten durcheinander, was vielleicht gar nicht erwähnt werden sollte, weil Politik schon längst kein Männergeschäft mehr ist und auch nicht mehr sein soll, und weil im Theater ja eh alles behauptet und gespielt werden kann, gemäß dem Willen und der Vorstellung der Macher. Mara Widmann verleiht dem todessehnsüchtigen Kirillow einiges an anrührender Wärme.

Den Glauben verloren

Umso tragischer ist es, wenn Kirillow für die Zwecke der Gruppe mörderisch instrumentalisiert wird. Die Hauptfigur im Sammelsurium der politischen Positionen, der Provinzheimkehrer Stawrogin, lässt sich jedoch von Werchowenskij nicht als anarchistischer Leithammel vor den Karren spannen, sondern bietet sich als Projektionsfläche für alle an. Silas Breiding gibt ihm eine Noblesse, die ihn als Dandy wirken lässt, seiner Zeit ein paar Dekaden voraus.

Den Glauben an Gott hat Stawrogin längst verloren oder vielleicht hat er noch nie an jemanden außer sich selbst geglaubt. Der hochreligiöse Schatow fällt halb in Ohnmacht, als er das erfährt: „Ein Atheist kann nicht Russe sein, ein Atheist hört sogleich auf, Russe zu sein“, zitiert er Stawrogin, doch Worte und die damit verbundenen Einstellungen sind flüchtig, ganz schnell vom Winde verweht. Seinen Schatow lässt Jakob Immervoll beherzt ins Fanatische kippen, mit Fingerzeigen Richtung Himmel – bis Schatow Vater wird und von seinem frisch geborenen Sohn, fast ebenso fanatisch, begeistert ist. Die Beziehungen erleiden natürlich Schiffbruch im Wust des politischen Aufruhrs, Carolin Knab darf gleich zwei Frauenfiguren spielen, die verkrüppelte Marja und die reiche Lisaweta. Beide werden zu amourösen Spielbällen Stawrogins und fallen der Revolution letztlich zum Opfer.

Gegen Ende bildet das gesamte junge Ensemble einen toten Haufen, neben dem Jörg Lichtenstein als Werchowenskijs Vater steht und kurz aus seiner Rolle tritt, um vom Leiden des einzigen älteren Spielers auf der Bühne zu erzählen. Ja, die Frau an seiner Seite wurde ihm weggestrichen, das wären doch schöne Szenen gewesen, aber die Regie interessiere sich ja vor allem für die Jugend.

Deren Rebellionsgeist kommentiert Lichtenstein ironisch mit einem Verweis auf den Haufen. So steigt der Ältere kurz aus der Fiktion aus – auch das eine Revolte, auf die aber nur der finale Abgang folgt. Mehr von diesem Witz und Freiheitssinn hätte man dem 26-jährigen Hafner für seine Adaption gewünscht: Zwar durchbricht er lange Diskursstrecken mit Gruppenchoreografien, und sein Ensemble spielt mit eiserner Überzeugungskraft. Aber im dreistündigen Sturm der russischen Ansichtssachen pfeift allzu wenig frischer Luftstrom ins Heute und das Interesse bräuchte mehr Spiel, um nicht zu verwehen. 

Volkstheater, 30. und 31. Oktober, sowie 4., 14., 18. November, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 523 46 55
 

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