Interview

Doris Uhlich über "In Ordnung"

Die Choreografin über ihre Performance in den Kammerspielen
Michael Stadler |
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"In Ordnung" in den Kammerspielen
"In Ordnung" in den Kammerspielen © Julian Baumann

Dem kulturverhindernden Chaos der Pandemie hat Doris Uhlich im Jahr 2020 mit voller Tanzkraft die Stirn geboten: In der "Pandemic Version" ihrer Choreografie "Habitat" ließ sie 13 Münchnerinnen und Münchner nackt, eingehüllt in transparenten Ganzkörperkostümen, in der Therese-Giehse-Halle tanzen und gab damit ihren Einstand an den Kammerspielen. Jetzt inszeniert und choreografiert Uhlich mit Ensemblemitgliedern das neue Stück "In Ordnung".

AZ: Frau Uhlich, sind Sie eher ein ordnungsliebender oder ein chaotischer Mensch?

DORIS UHLICH: Ich würde sagen, ich lebe beide Prinzipien sehr ausgiebig und intensiv. In meiner Küche herrscht zum Beispiel eher das chaotische Prinzip. In meinem Büro leider auch. Was meinen Kleiderschrank angeht, bin ich jedoch sehr ordentlich.

Und für Sie als Choreografin, was ist da wichtiger: die Ordnung oder das Chaos?

Letztendlich denke ich schon: die Ordnung. Sagen wir so: Man sollte offen sein für den Zufall und das Chaos, weil dadurch immer wieder Neues entstehen kann. Gleichzeitig muss man sehr wach sein, um den Punkt zu finden, wo man beginnen sollte, das Chaos zu ordnen. Oder man sagt insgesamt "Ja" zum Chaos und lässt zu, dass man als Choreografin nichts mehr ordnen möchte, nichts mehr ordnen kann.

Ihr neues Projekt heißt nun "In Ordnung" und verspricht "ein rauschhaftes Ensembletanzstück" zu werden. Fällt es Ihnen leicht, chaotische Momente zuzulassen?

Ja! Da es zum Konzept des Stücks gehört, ist das sogar ziemlich leicht. Ich finde es interessant, wie sich dabei meine Rolle als diejenige, die oftmals Ordnung stiftet, auflöst. Natürlich denke ich mir manchmal, oh, das hätte ich jetzt eigentlich anders gemacht. Aber wenn das große Ganze stimmt, akzeptiert man sehr viel. Ich lasse los und die Performenden können mehr oder minder machen, was sie wollen. Das ist sehr befreiend, ein Sich-Öffnen gegenüber dem Potenzial jedes einzelnen Ensemblemitglieds.

Wenn man sich den Alltag anschaut, ist der ein ständiges Wechselspiel zwischen Chaos und Ordnung.

Die neuen Chaostheorien besagen auch, dass alles zunächst mal Chaos ist und daraus Ordnung geschaffen wird. Innerhalb einer Ordnung gibt es dann kleine Irritationen, aus denen das nächste Chaos entsteht. Wir versuchen ständig, eine Ordnung zu finden, sonst funktioniert auch gesellschaftliches Zusammenleben nicht. In unserem Projekt geht es unter anderem stark darum, welche Ordnungen akzeptabel sind. Denn es werden auch Ordnungssysteme geschaffen, mit denen man nicht klarkommt, zum Beispiel solche, in denen Körper gemessen, miteinander verglichen und bewertet werden.

Sie arbeiten mit einem großen, diversen, integrativen Ensemble zusammen. Haben Sie von Anfang bestimmte Körper für die Performance ausgesucht oder konnte jeder mitmachen, der Lust hatte?

Der Auftrag von Intendantin Barbara Mundel und Chefdramaturgin Viola Hasselberg war für dieses Projekt, dass ich mit so vielen Leuten wie möglich zusammenarbeite - ein großes Ensemblestück als Statement nach der Pandemie.

"In Ordnung" in den Kammerspielen
"In Ordnung" in den Kammerspielen © Julian Baumann

Ordnung gibt oft auch Stabilität und Sicherheit. Durch die Pandemie und mehrere Kriege sind aber einige Ordnungssysteme zusammengebrochen.

Für mich, die gerne mit vielen Menschen zusammenarbeitet und die Diversität und Vielfalt liebt, war die Pandemie schon ein sehr harter Einschnitt. Das war nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern eine Körperkrise. Ich wollte mir meine Vision von kollektiver Energie aber nicht nehmen lassen, was zur "Pandemic Version" von "Habitat" führte. Damals und jetzt bei den Recherchen war mir natürlich klar: Es gibt Ordnungen, die Halt geben. Wenn diese wegbrechen, ist man in einem Nirwana: Man weiß nicht mehr, wo vorne, hinten, seitwärts ist. Dieses Gefühl wollte ich aber jetzt nicht in Bezug auf die heutigen globalen Krisen zur Sprache bringen, sondern allgemein auf körperliche, poetische Weise ausdrücken.

Laut Ankündigungstext gibt es dabei einige Objekte auf der Bühne, die sich verschieben lassen.

Ja. Unsere Ausstatterin Juliette Collas hat einen Algorithmus erfunden, der die Bühnenelemente jeden Abend aufs Neue zusammenmischt. Die Techniker sind dabei unsere Komplizen: Sie verschieben diese Elemente während der Aufführung immer wieder in neue Positionen, wodurch die Performenden mitunter überrascht werden. Wobei sie selbst auch für Verschiebungen sorgen können.

Der Raum hält offenbar auch für das Publikum einige Überraschungen parat…

Ja, der Raum ist insgesamt sehr offen: Die Türen stehen auf, das Foyer wird mitgenutzt, es werden auch im Zuschauerraum Stühle ausgebaut. Es ist alles sehr luftig und transparent. Die üblichen Sehgewohnheiten werden auf den Kopf gestellt, die Blickrichtung nach vorne ist teilweise aufgehoben.

"In Ordnung" in den Kammerspielen
"In Ordnung" in den Kammerspielen © Julian Baumann

Die Bewegung des Verschiebens bringt den Raum ständig in Bewegung. Und erzeugt Unsicherheit?

Nicht unbedingt. Es gibt Momente, wo die Dinge sehr lustvoll verschoben und in eine neue Ordnung gebracht werden. Dann gibt es Momente des Festhaltens, die zeigen, dass man sich hin und wieder danach sehnt, dass die Dinge sich nicht mehr verändern. Bis man sich denkt: Ja, jetzt waren wir lange genug in diesem Zustand. Es wird Zeit für die nächste Veränderung, damit etwas Neues entstehen kann.

Ich konnte eine Probe sehen, bei der die Performenden an den Elementen rüttelten und selbst auch ins Zittern geraten sind.

Ja, man hält sich fest an einer Struktur, sucht Stabilität und wenn man loslässt, wird man unsicher und kommt in eine innere Vibration. Dieses Zittern zeigt die eigene Unsicherheit, aber die muss man auch zulassen. Wenn man nur an den Dingen festhält, ist Transformation kaum möglich. Wenn man loslässt, ist man oft in einem Zitterzustand. Dieses Zittern kann wiederum in ein kräftiges Rütteln der Struktur übergehen - wenn man bereit ist, zu transformieren. Das ist wie die Angst an den Hörnern zu packen.

Die Diversität im Ensemble enthält eine schöne gesellschaftliche Utopie: dass man alle möglichen Menschen zusammenbringen und daraus eine funktionierende Gemeinschaft entstehen kann.

Ja, im Idealfall unterscheidet man nicht mehr zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, sondern erkennt die Vielfalt als Potenzial für unsere Gesellschaft. Bei uns wird oft stark pulsierend getanzt, am Ende tanzen wir ein Körpermanifest. Wissen Sie: Ich glaube, das Stück kann Hoffnung geben, dass man kollektiv sowohl geistige wie ästhetische Vorstellungen verschieben kann. Dabei zeigt sich, dass dieser gemeinsame Vorgang anstrengend ist. Das geht alles nicht so leicht! Aber es lohnt sich.

Premiere am 3. Februar im Schauspielhaus der Kammerspiele; Karten unter Telefon 233 966 00

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