Doppelabend bei den Salzburger Festspielen: Untergang mit Getöse

Salzburg - Hinter dem noch geschlossenen Vorhang schreit erst ein Baby, dann eine Frau. Aus der pechschwarzen Bühnennacht werden Judith und Blaubart herausgeleuchtet. Später flammen ein Plus, ein Minus, brennende Linien und das von einer Wasserfläche zur Vollständigkeit gespiegelte Wort "Ich" auf.
Mit Feuer und Wasser werden die Grenzen des szenisch Machbaren ausgelotet
Der von Romeo Castellucci inszenierte Doppelabend aus Béla Bartoks Einakter "Herzog Blaubarts Burg" und Carl Orffs "De temporum fine comoedia" ist ungewöhnlich stark, wenn der Regisseur seine Erfahrungen mit der Performance-Gruppe Societas Raffaello Sanzio auf die Opernbühne der Felsenreitschule überträgt.
Da werden mit Feuer und Wasser Grenzen des szenisch Machbaren ausgelotet, und der Gestank der Flammen kann einem im stickigen Zuschauerraum mit und ohne Maske auf den Atem schlagen.
Was sich genau zwischen Judith und Blaubart abspielt, bleibt - auch wegen der Dunkelheit - letztendlich unklar. Es ist jedenfalls ein haltlos katastrophales Beziehungsdrama. Judith scheint ihr Kind verloren zu haben, sie versucht eine Selbsttötung - offenbar mit Hilfe einer Autobatterie. Zwischendurch scheint es auch sexuelle Ekstasen zu geben, bei denen sich die phänomenale Sopranistin Ausrine Stundyte auf dem Bettgestell in Krämpfen windet, während aus Blaubarts schwarzem Anzug das Wasser sturzbachartig fließt.
Wer nach Intensitäten fragt, erlebt einen ungewöhnlich starken Opernabend
Bei näherem Hinsehen mag die Aufführung ranzige Klischees der hysterischen Frau bemühen. Ob sich Judith und Blaubart irgendwie versöhnen, bleibt offen. Das gespiegelte Wort "Ich" mag bei psychoanalytisch Geschulten weitere Assoziationen auslösen, die Laien verschlossen bleiben.

Wer sich darauf einlässt, dass hier elementar mit Elementen wie Menschen gespielt wird und nicht nach einem Sinn und einer Geschichte fragt, sondern nach Intensitäten, wird in Salzburg einen ungewöhnlich starken Opernabend erleben.
Ausrine Stundyte ist eine rückhaltlos extrem spielende Sängerin
Dazu trägt auch die musikalische Seite bei. Ausrine Stundyte, vor einem Monat die Jeanne in der "Teufel von Loudun" im Nationaltheater, ist eine hochexpressiv singende und rückhaltlos extrem spielende Sängerin. Der Kontrast mit dem eher weich singenden Bassisten Mika Kares scheint perfekt.
Dass Teodor Currentzis aus Bartóks Partitur mit dem Gustav Mahler Jugendorchester vor allem die dynamischen Extreme herausholt, dürfte kaum überraschen. Das alles wird aber plausibel und mit Rücksicht auf die Sänger entwickelt.
Carl Orffs "De temporum finde comoedia" enttäuscht dagegen nach der Pause durch Kunstgewerbe. Dass das 1973 unter Herbert von Karajan nebenan im Großen Festspielhaus uraufgeführte Endzeitspiel so selten auf Bühnen erscheint, hat nicht nur mit dem ungeheuren Aufwand an überwiegend tatenlos herumsitzenden Musikern zu tun.
Die Bildungshuberei mit endlos wiederholten griechischen und lateinischen Prophezeihungen macht die Sache auch nicht zugänglicher, und so richtig originell kann man es auch nicht nennen, wenn der Weltuntergang mit Getöse, in höchster Lage singenden Sopranistinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs und viel Wehgeschrei beklagt wird und die Xylofone die Totengerippe klappern lassen.
Über den Bratschenchoral legt Currentzis einen esoterischen Säuselchor
In Castelluccis Inszenierung steinigen die Sibyllen eine Frau, bei der es sich womöglich um Bartóks Judith handelt und opfern anschließend Kinder. Die Anachoreten führen einen lahmen Hexensabbat auf. Wenn endlich "Das Ende!" gebrüllt wird, kommt beim einen oder anderen Zuschauer vergebliche Hoffnung auf. Es dauert aber noch.

Über den abschließenden Gambenchoral hat Currentzis einen esoterischen Säuselchor gelegt. Auch sonst lässt er ein von Orff nicht vorgesehenes Universum rauschen. Die Klangregie des Dirigenten ist zwar souverän, besser wird die Partitur durch derlei Zutaten auch nicht.
Immerhin entsteht ein ziemlich starkes Bild, wenn am Ende die nackte Menschheit durch den Mosaikboden bricht. Orff mag da an den atomaren Winter gedacht haben. Die Inszenierung spart sich jede Anspielung auf gegenwärtige Katastrophen.
Castellucci verliebt sich lieber in die seifige Verzeihung, die am Ende Lucifer durch den erst schlecht gelaunten, zuletzt aber überraschenden Vatergott zuteil wird. Dazu knien Judith und Blaubart auf der Bühne, und der "Jedermann" ist nicht fern.
Reicher Russe Leonid Mikhelson finanziert die Aufführung mit
Falsche Versöhnlichkeit auch im Programmheft: Dort ist nachzulesen, dass eine Stiftung des angeblich viertreichsten oder überhaupt reichsten Russen Leonid Mikhelson die Aufführung mitfinanziert. Er gab bereits Geld für Castelluccis Salzburger "Salome" vor vier Jahren. Der russische Mäzen besitzt Unternehmen, die seit 2014 auf einer amerikanischen Sanktionsliste stehen. Außerdem sind seine Firmen mit dem russischen Gasgeschäft verflochten.
Soll den Besucher im Winter die Erinnerung an den Gesang des von sanktionierten russischen Banken finanzierten musicAeterna Choirs wärmen, wenn die Gasheizung heruntergeregelt werden muss?
Die Festspiele haben den Vertrag mit dem Bergbauunternehmen Solvay aufgelöst, das gegen Umweltauflagen verstoßen und Rechte von Indigenen missachtet hat. Bei Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und dort systematisch kulturelle Einrichtungen zerstört, drückt man beide Augen zu. Das ist fatal, weil Gesprächsbereitschaft von russischer Seite derzeit als Zeichen von Schwäche und Ängstlichkeit verstanden wird.
In Salzburg redet man unter Berufung auf die Festspiel-Gründer gern vom Ethos der Kunst. Wenn das mehr sein soll als die Girlande über der Hebung des Fremdenverkehrs, müssen die Festspiele ihre Zusammenarbeit mit dem Dunstkreis von Kriegsverbrechern einstellen und das Defizit vom Staat decken lassen. Und zwar umgehend, denn alles andere ist verlogen.
Wieder am 31. Juli, 2., 6., 15. und 20. August in der Felsenreitschule. Karten unter salzburgerfestspiele.at