Kritik

Ein zu hausbackener "Don Karlos" am Münchner Volkstheater

Christian Stückl inszeniert Schillers berühmtes Drama – vor allem anfangs ohne große Dynamik.
von  Mathias Hejny
Liebe und Intrige und unfassbar langes Haar: Prinzessin von Eboli (Ruth Bohsung) und Don Karlos (Max Poerting).
Liebe und Intrige und unfassbar langes Haar: Prinzessin von Eboli (Ruth Bohsung) und Don Karlos (Max Poerting). © Arno Declair

Der hagere Infant räkelt sich fast nackt im schicken Clubsessel und singt den Beatles-Klassiker "Something". Der Königssohn ist verliebt. In die Sehnsucht mischt sich auch Resignation, denn Don Karlos war mit Elisabeth von Valois sogar schon verlobt. Bis ihm sein Vater, der König, die schöne Französin ausgespannt und sie geheiratet hat. Seither ist das Objekt seiner Begierde seine Stiefmutter.

Von diesen schwarzen Sesseln gibt es viele. Stefan Hageneier, der langjährige Hausausstatter des Volkstheaters, baute auf die Bühne einen fast leeren Raum, der vor allem eine dunkle Halle ist, mit weiten Wegen für die, die sie bewohnen, und dennoch spontan begeistert.

Zu viel Staub liegt auf dem Klassiker 

Es ist die Einheitsbühne sowohl für die "schönen Tage in Aranjuez" wie auch den Königspalast in Madrid. Über der eleganten Sessellandschaft schwebt das monumentale und oft dramatisch beleuchtete Abbild eines Adlers im Angriffsmodus.

Prinzessin von Eboli (Ruth Bohsung) und Don Karlos (Max Poerting).
Prinzessin von Eboli (Ruth Bohsung) und Don Karlos (Max Poerting). © Arno Declair


Regisseur Christian Stückl rückt für seine Inszenierung des "Don Karlos" den Vater-Sohn-Konflikt unter Royals in den Vordergrund. Im Streit des autoritären Herrschers mit dem humanistisch aus der Art geschlagenen Kronprinzen um eine Frau spiegelte Friedrich Schiller den Konflikt zwischen überkommenen Strukturen und dem Ziel, der Zukunft wie dem Menschen zugewandt eine freie Gesellschaft zu schaffen.

Schillers Stück am Vorabend der Revolution 

Der Widerstand der protestantischen Niederlande gegen die imperialistischen Gelüste des katholischen Spaniens im 16. Jahrhundert ist das historische Vorbild für eine Erneuerung Europas. Schillers "dramatisches Gedicht" wurde 1787 in Hamburg uraufgeführt und bebilderte den Zeitgeist unter deutschen Intellektuellen am Vorabend der Französischen Revolution.

So bringt der Marquis von Posa Ideen aus der brutal unterdrückten flandrischen Kolonie mit, wie der Aufstand mit mehr Freiheit befriedet werden könnte. Bei seiner Rückkehr nach Madrid trifft er seinen besten Freund Karlos wieder und findet ihn in schlechtem Zustand vor: desillusioniert und larmoyant und auch ein bisschen verwahrlost.

Pascal Fligg  sorgt für die Lacher 

Von Posa, bei Noah Timwa ein sympathischer, gut erzogener und intelligenter Kraftkerl, unterscheidet sich schon äußerlich vom Personal am Hof. Er trägt nicht die ulkige Haartracht, bei der sich die bizarr hohe Stirn des elisabethanischen Englands mit dem bis in Gesäßlänge gewachsene Haupthaar aus dem Elfenland mischt.

Gegen ihn bleibt Max Poerting als Titelheld erstaunlich eigenschaftsarm. Dass die beiden einmal Gemeinsamkeiten hatten und beste Freunde waren, muss schon ziemlich lange her sein.

"Geben Sie Gedankenfreiheit" 

Und es dauert, bis aus dem toxischen Gebräu aus machtbesessener Politik, verkrusteter Kirche, höfischem Intrigantentum, egozentrischen Missverständnissen, verschmähter Liebe und ebenso dummen wie folgenreichen Zufällen so etwas wie Dynamik entsteht. Erster starker Moment ist erst kurz vor der Pause die Begegnung des Marquis mit König Philipp II., die in der ins ewige Schatzkästlein der Schiller-Zitate eingegangenen Forderung von Posas gipfelt: "Geben Sie Gedankenfreiheit."

Christian Stückl, leitet auch die Passionsspiele in Oberammergau.
Christian Stückl, leitet auch die Passionsspiele in Oberammergau. © picture alliance/dpa

Pascal Fligg gibt dem Monarchen ein interessantes Profil: Ein Bild von altem, weißem Mann, hochadelige Würde und totalen Herrschaftsanspruch verströmend, aber nicht stressresistent, immer wieder fahrig mit Anzeichen beginnender Senilität.

Damit sorgt Fligg auch für die raren komischen Momente. Denn Christian Stückl ist das nicht erstrebenswerte Kunststück gelungen, mit seinem sehr jungen Ensemble, aus dem viele seiner anderen Inszenierungen ihre Frische und Energie beziehen, eine hausbacken verstaubte Schiller-Interpretation hinzustellen.

Silas Breiding glänzt im Hofschranzenstadl

Vor allem bei den Damen ist es nicht nur vornehme Blässe, die sie auszeichnet: Lena Brückner als spanische Königin und Ruth Bohsung als deren Hofdame Prinzessin von Eboli machen nur Dienst nach Vorschrift.

Aus dem Hofschranzenstadl ragt vor allem der Vertreter des Klerus markant heraus: Der königliche Beichtvater Domingo ist der, der mit aasigem Grinsen letztlich alle Fäden in der Hand hält. Der scheinheilige Geistliche, dessen Rolle beim letalen Finale mit dem Großinquisitor zusammengezogen wurde, ist bei Silas Breiding gut aufgehoben.

Schon in der ersten Szene fasst er drohend zusammen, was ihn am Thronfolger empfindlich stört und alle Despoten am meisten fürchten: "Er denkt zu viel." 

Volkstheater, Tumblingerstr. 29,  wieder  am 16. und 30. März, www.muenchner-volkstheater.de

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