Dieter Dorn inszeniert das "Endspiel" von Samuel Beckett
Vor der echten Rückwand hängt eine gemalte, weiß gekalkte Theater-Brandmauer. Davor eine Holzkiste: das Zimmer, in dem sich Samuel Becketts „Endspiel“ ereignet. Es rollt aus der Tiefe langsam bis zur Rampe des plüschigen Salzburger Landestheaters nach vorn, bis es die Zuschauer in den ersten Reihen fast bedrängt. Dieter Dorns Inszenierung redet Klartext. Das „Endspiel“ ist kein Endspiel. Es ist Theater. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das streng nach dem Text. Hamm (Nicholas Ofczarek) und die Mülltonnen mit seinen Eltern sind anfangs abgedeckt. Clov (Michael Maertens) öffnet die Fensterluken, deckt den in der Mitte thronenden Hamm und die Mülltonnen mit den Eltern ab und kichert. Alles exakt nach den vom Autor schriftlich niedergelegten Wünschen.
Hamm trägt eine ähnliche Filzkappe wie in Becketts Berliner Inszenierung von 1968. Nur das Material wirkt prächtiger – wir sind in Salzburg, und Jürgen Rose ist der Ausstatter. Und er sitzt auf einem echten Theaterthron. Dann zieht sich Ofczarek das fleckige Taschentuch vom Kopf und beginnt seinen Monolog. Er denkt nicht nach, sondern sagt seinen Text auf. Er ist nicht Hamm, sondern ein Burgschauspieler, der – immer etwas in Eile – eine Rolle spielt. Auch Maertens hat seine Pantomime am Anfang eher lieblos heruntergespult. Als habe er Angst, mit Pausen zu langweilen.
Der Regisseur inszeniert sich das Alter vom Leib
Sogar das lässt sich aus dem Text herauslesen. Denn das „Endspiel“ ist vieles: Komödie und Tragödie, Apokalypse und Farce, Katastrophenstück und Clownsnummer. Das alles findet hier textnah und ohne Mätzchen statt. Als wunderbarstes Theatertheater.
Aber „Endspiel“ ist auch ein Stück über tyrannische, verwahrloste alte Menschen und ihre schrecklichen Launen. Die vier Figuren hassen sich, klammern sich aneinander und sind in tragischer Weise aufeinander angewiesen. Von alledem will der bald 82-jährige Regisseur nur das Allernötigste wissen. Dorn hält sich und dem Publikum das Altern vom Leib. Körperflüssigkeiten und Katheter kommen nur im Text vor. Niemand, auch nicht Nell und Nagg in ihren Mülltonnen, sind wirklich hinfällig. Joachim Bißmeier und Barbara Petritsch spielen Hamms Eltern als putzmunteres, immer noch ein bisschen verliebtes Seniorenpaar. Sie erinnern sich glücklich ans Radeln mit dem Tandem in den Ardennen, wo sie bei einem Unfall ihre Beine verloren.
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Bißmeier und Petritsch sind Luxus-Großeltern zum Abbusseln. Sie spielen über den Schrecken hinweg und halten sich, wie der Regisseur, ans Positive. Hamm sitzt zwar unbeweglich in seinem Stuhl, aber Ofczareks Stimme ist jung und gesund, sein Hirn taufrisch. Das kann man so sehen, aber es müsste in seiner Widersprüchlichkeit ausgespielt werden. Aber das ist etwas, was Dorn noch nie mochte. Und so ist dieses „Endspiel“ nicht Beckett, sondern Beckett-Boulevard. Die beiden Paradekomödianten des Burgtheaters hauen gebändigt auf den Putz. Maertens legt als Clov eine zweieinhalbstündige Clownsnummer auf die Bretter. Das Insektenpulver staubt nur so. Er hantiert ungeschickt mit den Fenstern und Mülltonnendeckeln, verpasst Unfälle nur knapp und stößt natürlich irgendwann doch an. Oder haut x-mal lärmend die Klappe zum Untergeschoss zu, bis sie ihm einmal nach der goldenen Regel des komischen Timings doch auf den Pantoffel fällt.
Geflickter Luxus
Hamms wirre Monologe in der zweiten Hälfte sind dezent gekürzt. Den allzu billigen Witz „Ich sehe eine begeisterte Menge“ zum Fernrohrblick ins Publikum hat Dorn auch weggelassen. Gegen Ende wird viel geschrien und gezetert. Eine Steigerung bringt das nicht.
Da schweift der Blick dann auf Jürgen Roses bewährten Kasten. Der ist nicht einfach nur grau, sondern ist dort, wo man es nicht erwartet, mit einem verblassten Tapetenmuster verziert. Die Kostüme zelebrieren erlesene Schäbigkeit. Clovs Hemd und Jacke dissonieren zart. Hamms Decke hat ein Jugendstilmuster. Sein verschlissenes Sakko ziert edelstes Kammerspiele-Karo. Die Filzkappe ist edel geflickt. Wunderbarer Festspielluxus!
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Die vornehme Desinvolture, mit der Dorn sich und den Zuschauern die Abgründe von Becketts „Endspiel“ vom Leib hält, ist ärgerlich. Aber auch nicht neu. Besser, man bewundert die den Selbstzweck streifende Texttreue und das gediegene Handwerk des Regisseurs. Denn sich selbst verwirklichende Regisseure gibt es im deutschsprachigen Theater heute wahrlich genug.
Und manchmal fügt das Leben noch ein passendes Detail hinzu: Unsere Kanzlerin schaute sich – mitten in der angeblichen Merkeldämmerung – mit Herrn Sauer aus einer Loge des Landestheater dieses „Endspiel“ an. Die Frau hat keine Angst vor Spöttern. Wer ko, der ko.
Wieder heute und am 3., 4., 6., 7. und 8. August im Salzburger Landestheater. Restkarten vorhanden, Infos unter www.salzburgfestival.at
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