Interview

"Die verlorene Ehre der Katharina Blum" im Volkstheater: Das erste Bild bleibt haften

Ruth Bohsung spielt in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" nach Heinrich Böll im Münchner Volkstheater.
Michael Stadler |
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Katharina Blum (Ruth Bohsung) lädt den Boulevardjournalisten ein, der sie an den öffentlichen Pranger stellte - und sie hegt mörderische Absichten.
Katharina Blum (Ruth Bohsung) lädt den Boulevardjournalisten ein, der sie an den öffentlichen Pranger stellte - und sie hegt mörderische Absichten. © Gabriela Neeb

Es ist schon eine etwas seltsame Sache, als Boulevard-Journalist Ruth Bohsung zum Interview zu treffen. Schließlich spielt sie jetzt im Volkstheater Katharina Blum, jene Protagonistin also, die in Heinrich Bölls Erzählung von 1974 bei einer Karnevalsparty einen Mann kennenlernt, der sich als gesuchter Verbrecher entpuppt. Als Blum ihm zur Flucht vor der Polizei verhilft, bricht eine mediale Hetzkampagne über sie herein. Im Gegenzug lädt sie den federführenden Boulevardreporter zu einem Interview ein - mit mörderischen Absichten. Böll prangerte vor allem den Sensationsjournalismus von "Bild" an, die ihn als Sympathisanten des damaligen RAF-Terrorismus diffamierte. Volkstheater-Hausregisseur Philipp Arnold hat nun mit seiner Adaption von "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" auch heutige Shitstorms im Blick.

AZ: Frau Bohsung, Hand aufs Herz: Lesen Sie "Bild"?
RUTH BOHSUNG: Ich? Sie meinen zum Rollenstudium? Also, zunächst mal kommt man ja an "Bild" kaum vorbei: An den Zeitungskästen sehe ich natürlich die Schlagzeilen. Und bei den Proben hatten wir vorübergehend eine als Requisit. Ansonsten lese ich sie aber selten bis gar nicht.

Wie sieht es mit den sozialen Medien aus: Nutzen Sie Facebook, Instagram, TikTok?
Ich habe noch Facebook, aber das spielt keine große Rolle mehr für mich. Mittlerweile nutze ich die sozialen Medien gar nicht mehr - bis auf Twitter, da lese ich aber auch nur und poste selbst nichts. Ich möchte mich einfach nicht zu sehr damit beschäftigen, was für ein Bild ich nach außen abgebe. Gerade wegen meines Berufs müsste ich auch stark darauf achten, was ich von mir preisgebe. Und ich möchte wegen meiner schauspielerischen Fähigkeiten engagiert werden, nicht wegen irgendwelcher Posts, bei denen ich auf Partys und sonstigen Anlässen zu sehen bin und dabei möglichst sympathisch wirke.

"Inszenierung versucht, Mechanismen der Verleumdung und Aufhetzung zu entlarven"

Als vor einiger Zeit ein privates Party-Video der finnischen Ministerpräsidentin Sanna Marin geleaked wurde, erntete sie einen Shitstorm.

Ja, das ist ein interessanter Fall. Ich denke auch, dass dieses Video so eine große Welle gemacht hat, weil sie eine Frau ist. Letztlich gehören ja wohl Feiern und "Entgleisungen" zum Leben der meisten Politikerinnen und Politiker dazu, aber das wird halt unterschiedlich bewertet. Hillary Clinton hat aus Solidarität mit Sanna Marin ein eigenes Party-Foto von sich gepostet, das fand ich schon sehr cool.

Wer den Instagram-Kanal von Markus Söder abonniert hat, sieht ihn unter anderem beim Essen und Radeln…
Der macht schon sehr diesen Turn ins Private, weil das auch zu seiner Medienstrategie gehört. Wenn er sich bei irgendwelchen Radtouren fotografiert, erzeugt das natürlich auch den Eindruck von Nähe. Aber wahrscheinlich sitzt auch nicht Söder vorm Handy und pusht ein Bild von sich, sondern lässt das machen.

"Die verlorene Ehre der Katharina Blum" im Volkstheater.
"Die verlorene Ehre der Katharina Blum" im Volkstheater. © Gabriela Neeb

Trotz Ihrer Social-Media-Abstinenz sind Sie offenbar doch ganz gut informiert. Wird es in der Inszenierung jetzt auch viele Bühnenaktivitäten geben, die sich aufs Internet beziehen?
Nein, die Inszenierung versucht eher, gewisse Mechanismen der Verleumdung und Aufhetzung zu entlarven. Unsere Fassung hält sich nah an Böll, es wird auch von "der Zeitung" gesprochen und auch sonst ist es eher zeitlos gehalten, wobei sich die Vorgänge trotzdem leicht auf heutige Hetzkampagnen und Shitstorms übertragen lassen.

Berühmt geworden ist auch die Verfilmung mit Angela Winkler, die bereits kurz nach Veröffentlichung der Erzählung gedreht wurde. Im Gegensatz zur Vorlage, in der Böll von vorneherein bekannt gibt, was passiert ist, um dann rückblickend zu erzählen, geht der Film von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta chronologisch vor, wodurch eine andere Spannung entsteht. Wie ist das nun in der Bühnenversion?
Was das chronologische Erzählen angeht, sind wir schon näher an dem Film. Wobei wir uns weniger für diesen "True Crime"-Aspekt interessieren: In der Erzählung und im Film wird zwischendurch in Zweifel gezogen, ob Katharina und Ludwig sich wirklich erst in dieser Nacht kennengelernt haben oder ob Katharina nicht schon länger in einem kriminellen Netz steckt, aber bei uns wird das schnell klar.

Von Freunden wird Katharina Blum als "die Nonne" bezeichnet, weil sie so prüde sei. In der Zeitung wird sie verfälschend als "eiskalt und berechnend" dargestellt. Für Sie als Schauspielerin könnten das ja Anhaltspunkte für die Darstellung sein. Andererseits sind das alles Projektionen…
Stimmt. Wir sind mit unserem Regisseur Philipp Arnold im Laufe der Proben auch zu dem Punkt gekommen, dass eigentlich alle Aussagen über Katharina Blum gar nichts mit ihr zu tun haben. Darin liegt ja auch die Entgleisung: Katharina hat es geschafft, sich aus ihren prekären Familienverhältnissen zu befreien und sich eine eigene Existenz als Haushälterin aufzubauen, aber ihre Umwelt projiziert plötzlich alles Mögliche auf sie. Dabei möchte Katharina Blum eigentlich nur in Ruhe gelassen werden.

"Hier am Haus liegt die Konzentration vor allem auf den Stoffen"

Wobei sie schon vor der Karnevalsnacht nicht in Ruhe gelassen wird. Böll zeichnet eine stark übergriffige Männerwelt der 1970er. Was sich heute zumindest ein bisschen geändert hat?
In den Siebzigern war die gesetzliche Lage sicherlich noch etwas anders, aber wenn man sich anschaut, wie zum Beispiel Abtreibungen immer noch kriminalisiert werden und wie häufig es zu Übergriffen gegenüber Frauen kommt, muss man doch leider sagen, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt weiterhin allgegenwärtig sind. In Bezug auf Medienkampagnen muss man sich nur anschauen, wie der Prozess von Amber Heard gegen Johnny Depp gelaufen ist. Sie wurde ja regelrecht zur Hexe stilisiert und hatte keine Chance mehr, diesem öffentlichen Bild zu entkommen. Darüber hinaus ging es am Ende vor allem darum, wer vor Gericht die bessere schauspielerische Leistung erbracht hatte, wen man glaubwürdiger und sympathischer fand.

Sie selbst haben es als Schauspielerin ständig mit Bewertungen und Projektionen zu tun, sei es seitens der Regie, des Teams oder des Publikums. Sie waren in Hannover auf der Schauspielschule. Haben Sie dort gelernt, mit diesem Blick von außen umzugehen?
Ja, würde ich schon sagen, wobei ich auch heute nicht frei von anderen Meinungen und Urteilen bin, überhaupt nicht. Aber irgendwann habe ich zumindest gemerkt, dass ich mich durchaus dazu entscheiden kann, vor allem auf die Leute zu hören, deren Arbeitsweise und Meinung ich auch schätze.

Sie sind nun direkt nach Ihrem Abschluss hier am Volkstheater gelandet. Wie verändert sich der Blick auf sich selbst und die anderen beim ersten Engagement?
Also, was ich sehr schön finde und als richtig tolle Steigerung empfinde, ist dieses Gefühl, dass es nicht mehr so sehr um mich als Einzelperson geht. Im Studium liegt ja der Fokus die ganze Zeit sehr stark auf einem selbst, auf der individuellen Entwicklung innerhalb einer sehr kleinen Klasse. Hier am Haus liegt die Konzentration vor allem auf den Stoffen, darauf, wie wir als Ensemble an ihnen arbeiten, wie wir sie erzählen. Dadurch bin ich ein Stück weit freier und habe auch weniger Druck.

Ruth Bohsung als Katharina Blum.
Ruth Bohsung als Katharina Blum. © Gabriela Neeb

Der Konkurrenzdruck ist nicht stärker?
Das empfinde ich nicht so. Ich empfinde das Ensemble hier als sehr kollegial.

Wie war eigentlich das Vorsprechen mit Intendant Christian Stückl?
Das war noch im alten Haus auf der kleinen Bühne und sehr spannend für mich, weil er recht lang, gut eine Stunde mit mir gearbeitet hat. Ich habe unter anderem die Frau John aus Gerhart Hauptmanns "Die Ratten" vorgesprochen und Bambi aus "Bambi & Die Themen" von Bonn Park, der hier am Haus auch inszeniert. Das Vorsprechen hat Spaß gemacht, wobei ich das Bairisch von Christian nicht immer verstanden habe. Das war schon ein bisschen komisch, dass ich immer wieder nachfragen musste, gerade in dieser Vorsprechsituation: Wie bitte, was soll ich? Ich dachte mir, das kannst du doch nicht ständig machen, aber letztlich ging es ja nicht anders. Und es hat ja auch am Ende geklappt.

Wie sieht es zuletzt mit Katharina Blum aus: Gibt es irgendeine Hoffnung für sie?
Soll ich jetzt spoilern?

Eine Andeutung reicht.
Ich glaube, ein bisschen Hoffnung liegt darin, dass sie sich selbst nicht aufgibt, dass sie sich nicht einfach ihre Würde und ihren Stolz nehmen lässt. Indem sie sagt, ich bringe den jetzt um, versucht sie, die Kontrolle über ihr Leben zurückzubekommen. Wir haben uns auch mit Amanda Knox auseinandergesetzt, die des Mordes an ihrer Mitbewohnerin bezichtigt wurde. Zunächst wurde sie zu einer 26-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt, dann freigesprochen. Dennoch schreiben heute noch einige auf Twitter: Wann kommt die denn endlich ins Gefängnis? Ist ein Bild erstmal gesetzt, kommst du davon nicht mehr los, das bleibt an dir haften. Umso mehr ist man darauf angewiesen, dass man Leute hat, die an einen glauben. Das ist das Traurige an Katharina Blum: dass ihr dieses Umfeld fehlt und sie die Bilder, die andere auf sie werfen, nicht mehr los wird. Insofern gibt es nur mittelgroße Hoffnung.

Premiere am 22. September, 19.30 Uhr, im Volkstheater (Bühne 1), einzelne Restkarten unter muenchner-volkstheater.de, Tel. 089 523 46 55

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