Interview

"Die Teufel von Loudun": Angst und Manipulation

Vladimir Jurowski über Krzysztof Pendereckis Oper "Die Teufel von Loudun" im Nationaltheater.
Robert Braunmüller
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Sex und Religion mit Ausrine Stundyte, Nadezhda Karyazina und Wolfgang Koch in "Die Teufel von Loudun".
Sex und Religion mit Ausrine Stundyte, Nadezhda Karyazina und Wolfgang Koch in "Die Teufel von Loudun". © Wilfried Hösl

Vor 29 Jahren wurde Krzysztof Pendereckis Oper "Ubu Rex" im Nationaltheater uraufgeführt. Danach wurde es in München etwas stiller um den vor zwei Jahren verstorbenen Penderecki. Nun bringt die Bayerische Staatsoper zur Eröffnung der Opernfestspiele "Die Teufel von Loudun" heraus, die zu Pendereckis frühen, der internationalen Avantgarde verpflichteten Werken gehört. Simon Stone inszeniert die Oper, Vladimir Jurowski dirigiert.

AZ-Interview mit Vladimir Jurowski 

Vladimir Jurowski wurde 1972 in Moskau geboren. Er studierte in Berlin und Dresden, war Kapellmeister an der Komischen Oper und Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra. Seit 2021 ist Jurowski Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper.

Vladimir Jurowski, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, wärend der Saisonvorstellung der Bayerischem Staatsoper für die Jahre 2022/2023.
Vladimir Jurowski, Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, wärend der Saisonvorstellung der Bayerischem Staatsoper für die Jahre 2022/2023. © dpa/Peter Kneffel

AZ: Herr Jurowski, was sagen Sie Besuchern, die bei Penderecki eher abwinken?
VLADIMIR JUROWSKI: Die "Teufel von Loudun" sollten ein Pflichtstück für alle Opernliebhaber zu sein: Jeder ab 16 muss da mal durch. Ich habe als 15-Jähriger in Moskau in einer Woche Henzes "Bassariden" und Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten" als Gastspiel aus Stuttgart gesehen. Das war meine Feuertaufe als junger Opernbesucher, und ich bin immer noch süchtig danach.

"Wichtig ist die Monodie im Stil der antiken Tragödie"

Wie klingt die zwischen 1968 und 1969 entstandene Musik, die aus Pendereckis experimenteller Phase stammen?
Klangflächen und Tontrauben aus nahe liegenden Tönen - sogenannte Cluster - sind zwei Bausteine dieser Musik. Es gibt rein aleatorische Stellen, die von den Musikern improvisiert werden, anderes muss vom Dirigenten zu gesprochenen Passagen getimet werden. Wichtig ist außerdem die Monodie im Stil der antiken Tragödie oder im Sinn des expressiven Sologesangs bei Claudio Monteverdi, bei der ein fast frei rezitierender Sänger nur von einem Bass begleitet wird. Penderecki verwendet dafür neben Celli und Kontrabässen auch einen E-Bass - wie ein Cembalo oder eine Theorbe in der Barockmusik.

Und das Orchester?
Das spielt Klangballungen aus sehr schnell gleichzeitig gespielten kleineren Tongruppen. Weil die Oper im kirchlichen Milieu handelt, spielt die Orgel eine gewichtige Rolle Dazu kommt an dieser Stelle Glockengeläut vom Band, wobei wir hier Glocken der französischen Stadt Loudun verwenden, in der die Oper spielt.

Ihre Partitur sieht ziemlich anders aus wie diejenige, die ich durchgeblättert habe.
Penderecki hat die Oper mehrfach überarbeitet. In der Urfassung - die wir spielen - ist manches graphisch notiert. Die Musiker entscheiden nach dem Bild, wann in einem Takt ein Ton zu beginnen hat. Solistische Spieler lasse ich oft selber entscheiden, bei Gruppen muss ich das durch meine Zeichengebung koordinieren. Penderecki hat das 2012 viel spieltauglicher ausgeschrieben, was ich persönlich weniger interessant finde.

Jurowski traf Penderecki in London

Konnten Sie mit Penderecki darüber sprechen?
Ich habe 2017 in London seine "Lukaspassion" dirigiert. Er kam mit seiner Frau und war sehr nett zu uns. Er hielt die frühe Version für ein Produkt seiner damaligen Unerfahrenheit. Ich versuchte ihm vorsichtig zu erklären, dass ich anderer Ansicht bin.

Mit Pendereckis "Ubu Rex" und der "Schwarzen Maske" bin ich nie warm geworden.
Ich bin überrascht, wie frisch und modern die "Teufel von Loudun" geblieben sind. Manches klingt sicher sehr nach den 1960er-Jahren, viele werden manches klanglich wie szenisch geschmacklos finden. Diese Oper ist sicher nicht zeitlos wie ein Shakespeare, aber sie sagt viel über heute aus. Es ist ein politischer Horror-Thriller mit unterlegter Musik und modernem Belcanto. In mancher Hinsicht ist die Oper ein mit der Erfahrung der Filmkunst der 1960er Jahre weitergedachter "Wozzeck".

Simon Stone, der Regisseur der Neuinszenierung, oszilliert zwischen Theater, Kino und Netflix. Was erwartet den Besucher - ohne zu spoilern?
Es gibt viele Anzeichen für eine heutige Welt. Die Inszenierung spielt aber - wie in der Vorlage - im kirchlichen Milieu mit Nonnen und Exorzismus-Zeremonien. Aber die gibt es bekanntlich tatsächlich noch heute.

Wie haben Sie die "Teufel von Loudun" kennengelernt?
Ich habe die Oper vor genau 20 Jahren in Dresden mit Harry Kupfer herausgebracht. Unser jetziger Mannoury, der Bariton Jochen Kupfer, hatte eine kleine Rolle im zweiten Akt.

Uraufführung mit historischen Ausstattung floppte

Die Uraufführung war 1969 in Hamburg kein Erfolg.
Harry Kupfer war damals dabei. Er erzählte mir, dass das vor allem an der historischen Ausstattung lag. Kurz danach folgte eine Inszenierung von Günther Rennert in Stuttgart, der das Stück auf einer Shakespeare-Bühne inszenierte.

Man hört, die nackten Nonnen seien ein Teil des Erfolgs gewesen.
Nacktheit wird es auch bei uns geben, aber das ist nicht der zentrale Punkt. Für mich sind die "Teufel von Loudon" primär ein politisches Stück.

Worin besteht das Politische?
Auf YouTube kann man ein Interview mit Aldous Huxley aus dem Jahr 1958 sehen. Er spricht über seine Prophezeiung einer "Schönen neuen Welt" im Hinblick auf die damalige Gegenwart. Ich sehe da interessante Parallelen zwischen "Die Teufel von Loudon" und unserer postindustriellen Zeit des 21. Jahrhunderts mit ihren technokratischen Diktaturen, die nicht auf Blut und Angst setzen, sondern auf eine Manipulation des Bewusstseins durch die Medien. Was Huxley vorhersagte, hat sich in den letzten 20 Jahren erfüllt. Daher scheint mir die Oper heute aktueller als 2002 in Dresden.

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Wie hat sich Ihre Wahrnehmung verändert?
2002 verstanden wir die Geschichte als Anspielung auf Zeit vor 1989, als Parodie auf eine sozialistische Gesellschaft mit Apparatschiks, die in der Oper als Kirchenmänner auftreten. Heute ist das Stück anders aktuell durch Fälle sexueller Misshandlung hinter Kirchenmauern, aber auch durch Parallelen zu #MeToo-Skandalen, die teilweise begründet sind, bei denen es aber auch Fälle von Verleumdung gibt.

Welche Geschichte erzählt Pendereckis Oper?
Der Priester Grandier ist ein Don Juan und kein Heiliger. Trotzdem wird er von einer Frau und später von einem ganzen Frauenkloster vorsätzlich verleumdet. Und im Endeffekt wird er nicht deswegen auf einem Scheiterhaufen verbrannt, sondern weil er politischen Protest gegen Richelieu geleistet hat. Das ist ziemlich gegenwärtig: Wenn Du politisch unbequem bist, kann Dir durch die Medien alles Mögliche angehängt werden. Und wenn Du - wie Grandier - keinen guten Anwalt hast, wirst Du zumindest medial verbrannt. Ich will damit nicht andeuten, dass alle #MeToo-Vorwürfe auf Verleumdung basieren. Aber es gibt solche Fälle. Auch die russische Propagandaindustrie schaltet mit solchen Methoden Gegner aus - im Inland wie im Ausland.

In einem Jahr dirigieren Sie in Brett Deans "Hamlet". Täuscht der Eindruck, dass Sie im Moment lieber Stücke der letzten 100 Jahre nachspielen, als Uraufführungen herauszubringen?
Viele Opern warten oft Jahre und Jahrzehnte auf ihre Zweitaufführung. Manchmal ist das verdient, manchmal nicht. Nikolaus Bachler hat mit Kreneks "Karl V.", Schrekers "Die Gezeichneten" oder Braunfels' "Die Vögel" einen Schwerpunkt auf die Musik gelegt, die vor etwa 100 Jahren entstand. Es ist ein Anliegen von Serge Dorny und mir, den unglaublichen Reichtum der Musik zu sichten, die nach 1945 entstanden ist.


Premiere am 27.Juni um 19 Uhr. Auch am 30. Juni sowie am 3., 7. Juli und im März 2022, Restkarten

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