Kritik

Die Show "Limbo Unhinged" beim Winter-Tollwood

Die Show im Spiegelzelt bietet akrobatische Höhepunkte, aber auch inszenatorische Tiefpunkte
Anne Fritsch |
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Die akrobatisch-erotische Show im Spiegelzelt. Dazu wird übrigens auch (auf Wunsch) ein Biomenü gereicht.
Daniel James Grant Die akrobatisch-erotische Show im Spiegelzelt. Dazu wird übrigens auch (auf Wunsch) ein Biomenü gereicht.

Der Regisseur jedenfalls ist vollkommen überzeugt von seiner Show: "Magic energy" verspricht Scott Maidment aus Australien dem Premierenpublikum von "Limbo Unhinged": "magische Energie". Die Show im Spiegelzelt des Tollwood Festivals öffne eine Tür in eine andere Welt. Zuvor schon hatte Pressesprecherin Stefanie Kneer auf ein Picasso-Zitat verwiesen, das das Motto des diesjährigen Festivals bilde: "Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele." Die Erwartung an "Limbo Unhinged" also: eine Auszeit vom Alltag, ein Ausflug in eine leichte, sinnliche und akrobatische Welt.


Nun ja. Zuerst die gute Nachricht: Akrobatisch ist das internationale Ensemble aus Mexiko, Spanien, Australien, Frankreich und Bulgarien wirklich und im wahrsten Sinne des Wortes auf der Höhe. Wie sich Luftakrobat Agustin Rodriguez Beltran an den Strapaten hochschraubt, sich dreht und windet, sich kopfüber fallenlässt und nur noch an einem Fuß im Gurt hängt, ist genauso schwindelerregend wie die Slackline-Nummern von David Marco Pintado. Der balanciert, springt, schaukelt und schwingt über den Köpfen des Publikums und landet doch stets gekonnt auf beiden Füßen.

Die Überwindung der Schwerkraft

Maria Moncheva reißt sich ihr langes schwarze Gummikleid vom Leib - dazu später mehr -, um in Netzstrümpfen in luftiger Höhe an Ketten beziehungsweise Aerial Chains zu turnen. Sie fädelt sich ein und aus, verbiegt sich unmenschlich, als wäre sie tatsächlich die Gummipuppe, als die sie sich verkleidet hat.

Was Mikael Bres da an der Stange tut, hat mit Schwerkraft und anderen Naturgesetzen kaum mehr etwas zu tun. Er geht mühelos die Stange hoch, steht auch mal waagrecht in der Luft und rutscht rasend herunter, um ein paar Zentimeter über dem Boden auf wundersame Weise zum Stillstand zu kommen.


Gruseliger Höhepunkt aber ist Clara Fable, die sich selbst auf ihrem Social-Media-Kanal als "your friendly neighbourhood vampire stripper, vocalist & fire eating aries" bezeichnet - also als die nette Vampirrstripperin von nebenan, die singt, Feuer verspeist und vom Sternzeichen her Widder ist. Ja, bis auf den Widder zeigt sie all das an diesem Abend. Zunächst drückt sie nur eine Zigarette auf ihrer Zunge aus, später schluckt sie Feuer, bis ihr so heiß wird, dass sie sich selbst der knappen Corsage entledigt und eine brennende Spur quer über ihre Brust legt. Holla!

Lack, Leder und Netz für die Damen

Und nun die schlechte Nachricht: Die Gesamtchoreographie des Abends ist enorm unruhig und holprig, zwischen den teils sehr kurzen Acts laufen Hilfskräfte durch die Zuschauer, die bei den vielen Umbauten helfen und den Fluss immer wieder unterbrechen. Da helfen auch die kurzen Catwalks wenig, die Scott Maidment zwischendurch immer wieder auf die schmale Bühne bringt, die sich wie ein Steg ins Zentrum des Zelts schiebt.

Die Musik von Elyas Khan, Mick Stuart und Sxip Shirey ist über weite Strecken vor allem penetrant, und nicht alle, die an diesem Abend zum Mikro greifen, können singen. Das Motto des Kostümbildners James Brown heißt "Weniger ist mehr", seine Lieblingsmaterialien sind Lack, Leder und Netz für die Damen, die Herren müssen höchstens mal ihren Oberkörper frei machen. Abgesehen von Beltran, der unerklärlicherweise immer wieder in einer Art Tarzan-Unterhose auftreten muss.


Die Optik setzt auf Erotik, und zwar auf offensive. Hier ein laszives Räkeln im Nebel, da ein flüchtiger Griff in den Schritt: genau das richtige Maß an Verruchtheit, das noch Firmen-Weihnachtsfeier-tauglich ist, ein bisschen Porno, ein bisschen Panflöte. So wirklich "magisch" will das Ganze nicht werden, dafür ist das alles leider viel zu offensichtlich und kein bisschen geheimnisvoll.

Menschlichkeit auf hinter der Perfektion blitzt auf

Nach der Pause nimmt die Show an Fahrt auf, gönnt sich sogar einen komischen Moment. Beim Badehosen-Catwalk tanzt Bres in Neon-High-Heels und einem ebensolchen Slip, Pintado und Moncheva kippen erstmal um, als sie so etwas wie eine stehende 69-Position versuchen - und auf einmal blitzt doch so etwas wie Menschlichkeit auf hinter der Perfektion.

Wenn Pintado, Moncheva und Bres zum Finale auf biegsamen Stangen stehend so weit über das Publikum schwingen, dass sie sogar Hände abklatschen können, ist das wirklich fulminant. Das alles hat tatsächlich so wenig mit dem Alltag der meisten Menschen zu tun, dass kaum die Gefahr besteht, an irgendwelche düsteren Realitäten erinnert zu werden.

Tollwood, Spiegelzelt auf der Theresienwiese, bis 31. Dezember, außer montags, 26. November und und 23. bis 25. Dezember, Karten bei Münchenticket und über www.tollwood.de

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