Die "Selbstmord-Schwestern " von Susanne Kennedy
Alles so schön bunt hier. Über das Portal hinaus quillt eine farbenfrohe Architektur dem Parkett entgegen. Orange dominiert das Bühnenbild von Lena Newton, dazwischen kräftige Töne von Blau, Grün und Gelb. Hier flimmert ein Videodisplay, dort blinkt es wie in einer Automaten-Spielhalle. Dann fällt der Blick in die zentrale Tiefe, wo die nackte Leiche einer jungen Frau aufgebahrt ist. Allmählich wird klar, dass das kunterbunte Gebilde auch ein Altar mit aufgeklappten Flügeln ist. Weitere Inspirationsquelle ist das Tibetanische Totenbuch, eine Art Gebrauchsanweisung für den Übertritt in den Tod.
Mit ihrer jüngsten Inszenierung an den Kammerspielen treibt Susanne Kennedy sowohl durch das menschliche Bewusstsein sowie dessen Erweiterung als auch mit der Furcht vor und der Sehnsucht nach dem Tod. Den Anstoß gaben „Die Selbstmord-Schwestern“, der 1993 erschienene Debütroman von Jeffrey Eugenides. Der Autor vom Jahrgang 1960 reflektiert darin sein Heranwachsen in einem vorstädtischen Michigan. Dort steht ein Haus, in dem die Familie Lisbon mit vier sagenhaft schönen Töchtern lebt.
Befreiung im Selbstmord
Eine Clique von Jungs fühlt sich von so viel Östrogen angezogen. Doch während sie in einer Epoche der sexuellen Befreiung leben, werden die Mädchen zu immerwährendem Hausarrest verdonnert. Da die Objekte ihrer Begierde unerreichbar bleiben, sammeln die Freunde „Beweisstücke“ von deren Existenz, als wären es Reliquien: Fotos, Zeitungsartikel, aber auch Haare, eingetrocknete Kosmetikdöschen und sogar einen BH. Unterdessen befreien sich die vier Schwestern durch den selbst gewählten Tod.
Nach „Warum läuft Herr R. Amok?“ 2014 scheint die Geschichte vom gewaltsamen Ausbruch aus einschränkenden Lebensumständen ein klarer Fall zu sein für das Theater von Susanne Kennedy. Den Fassbinder-Stoff inszenierte sie mit Schauspielern unter Latexmasken, die zu einem Playback agieren. Erst die Verfremdung schuf eine verblüffend klare Deutlichkeit. Doch die Frage, warum sich die Geschwister L. umbrachten, erscheint als völlig irrelevant. Vom Erzählerischen bleiben nur noch frei schwebende Bruchstücke.
Die Schauspieler verschwinden
Wer Lust auf den Roman hat, so ist die unmissverständliche Botschaft, sollte das Theater meiden, zu Hause bleiben und im Buch schmökern. Die Schauspieler Hassan Akkouch, Walter Hesse, Christian Löber und Damian Rebgenz verschwinden unidentifizierbar hinter den großäugig kindlichen Gesichtern von Manga-Mädchen und bodenlangen Priesterinnengewändern.
Nur Ingmar Thilo, ein Münchner Figurentheatermacher, spielt stumm, aber mit dem eigenen markanten Gesicht einen entrückt in sich hinein lächelnden Guru. Çegdem Teke verleiht den anderen seine Stimme, immer elektronisch verzerrt und häufig jenseits der Verständlichkeit.
Am besten mit LSD-Trip
Bei aller befremdlichen Hermetik entwickelt diese Rauminstallation, die der Bildenden Kunst näher ist als dem Theater, eine magische Anziehungskraft. Der Drogen-Prophet Timothy Leary, der immer wieder als Avatar in Gestalt des toten Mädchens von der Hinterbühne auf Bildschirmen erscheint, empfiehlt: „Falls dir Zweifel kommen, schalte den Geist ab, entspanne dich, lasse dich mit dem Strom treiben.“ Die Ausgabe von LSD-Trips zu jeder Eintrittskarte wäre natürlich hilfreich.
Münchner Kammerspiele (Kammer 1), 2. April, 19 Uhr, 10. April, 20 Uhr, 20. April, 20.30 Uhr, Karten unter Telefon 23396600
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