Die Schleuser in den Kammerspielen
Kammerspiele-Intendant Matthias Lilienthal wehrt sich gegen die Kritik am "Open Border Kongress"
In den Münchner Kammerspielen findet Mitte Oktober die "Internationale Schlepper- und Schleusertagung (ISS)" statt. Das satirische kunstprojekt hat Bayerns innenminister als "fehlgeleitete Politpropaganda" bezeichnet. Intendant Matthias Lilienthal wehrt sich.
AZ: Herr Lilienthal, es gibt schon im Vorfeld politische Aufregung über die Schleuser- und Schleppertagung vom 16. bis 18. Oktober im Rahmen des „Open Border Kongresses“ in den Münchner Kammerspielen.
MATTHIAS LILIENTHAL: Der Kongress im Ganzen und das „Munich Welcome Theatre“ liegen mir total am Herzen. Dass manchmal Dinge, die ich tue, nicht nur auf Begeisterung bei allen stoßen, bin ich ehrlich gesagt gewohnt.
Unionspolitiker finden es angesichts der realen menschlichen Katastrophe zynisch, das Schleuserthema theatral aufzuarbeiten.
Aber wer ist denn in diesem Spiel zynisch? Darüber könnte man doch mal reden. Ich finde, dass unser Verhalten als Gesellschaft zutiefst bigott ist. Menschen aus Syrien, Somalia und Eritrea, die versuchen nach Deutschland zu kommen, haben gar keine andere Möglichkeit, als sich der Dienste von Schleusern und Schleppern zu bedienen. Ich finde das unsäglich. Aber wir bieten keine Chance, auf legalem, einfachen Weg von Damaskus nach München zu fliehen. Es gab Schleuser und Fluchthelfer während des Zweiten Weltkrieges. Und ich bin Westberliner. Da kenne ich natürlich die Geschichten über Fluchthelfer, die Menschen aus der DDR in den Westen gebracht haben.
Und diese galten als Helden.
Diese Fluchthelfer haben aus kommerzieller Sichtweise nichts Anderes getan als die heutigen. Es ging ihnen ums Geld. Und es war vom Gesetz her auch gar nicht verboten in der alten Bundesrepublik. In der DDR natürlich schon. Beim Kongress geht es zum Beispiel auch darum, dass wir Apps vorstellen, die über Smartphones Ratschläge an Flüchtlinge geben, wie sie an möglichst vielen Stellen Schleuser und Schmuggler vermeiden können. Oder es geht darum, wie viele Opfer es bei der Flucht über das Mittelmeer gab. Es ist eine ganz rationale Tagung, die versucht, diese Flucht nachzuerzählen.
Wenn bei so einem Projekt im Vorfeld die CSU schon sauer ist, ist dann für Sie ein Teil des Zieles schon erreicht?
Nein, dass manche aus der CSU das Projekt so missverstehen, tut mir total leid. Die Frage aber, ob das europäische Grenzregime oder die Schlepper für die momentane Situation verantwortlich sind oder für die fürchterlichen Bilder der toten Flüchtlinge im LKW in Österreich, diese Frage darf man doch auf so einem Kongress ruhig einmal stellen.
Könnte die Vielzahl der Veranstaltungen zum Thema Flüchtlinge und Migration das Publikum überfordern?
Als Berliner würde ich sagen: Fassen Sie sich doch an die eigene Nase und schauen Sie in Ihre Zeitung. Mit der Volkshochschule arbeiten wir beim Open-Border-Kongress zusammen, wir arbeiten bei Navid Kermanis Lesung mit dem Münchner Literaturfest zusammen. Das ist einfach das große Thema der Gesellschaft. Und wir stehen vor wichtigen Entscheidungen: Sagen wir zu den jetzt kommenden Flüchtlingen, Du kannst jetzt die nächsten Jahre bleiben, bis Syrien wieder ein sicheres Rückkehrland ist? Oder sagen wir, wir laden Dich ein, hier zu leben?