Kritik

Die Schauburg zeigt "Die Erde über mir"

Eine rundum gelungene Performance für Jugendliche mit Musik von Mozart und Nicholas Morrish
Anne Fritsch |
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Andrea Schumacher (Violine), Yuki Kasai (Violine), Bridget MacRae (Violoncello), Indre Kule (Viola) und Sibel Polat (in der Badewanne) in der Performance "Die Erde über mir" in der Schauburg.
Cordula Treml 3 Andrea Schumacher (Violine), Yuki Kasai (Violine), Bridget MacRae (Violoncello), Indre Kule (Viola) und Sibel Polat (in der Badewanne) in der Performance "Die Erde über mir" in der Schauburg.
"Die Erde über mir" in der Schauburg.
Cordula Treml 3 "Die Erde über mir" in der Schauburg.
"Die Erde über mir" in der Schauburg.
Florian Ganslmeier 3 "Die Erde über mir" in der Schauburg.

Mozarts Requiem ist vielleicht nicht gerade das erste, was einem einfällt, wenn es um Musiktheater für Jugendliche geht. Vielleicht war es eben das, was den Regisseur Anselm Dalferth gereizt hat, eben von diesem Werk ausgehend seine Performance "Die Erde über mir" an der Schauburg zu entwickeln. Ergänzt wird die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts mit Auftragskompositionen von Nicholas Morrish, mit dem Dalferth vergangenes Jahr bereits "Leise Laute" an der Schauburg entwickelte.

"Die Erde über mir", eine Koproduktion mit dem Münchener Kammerorchester, richtet sich an alle ab 14 Jahren. Und so morbide der Titel auch klingt, nach Lebendig-Begraben-Sein, Tod und Zersetzung, so lebensnah ist diese Produktion doch. Ja, es geht um Abschiede. Um die kleinen, alltäglichen wie die großen, endgültigen. Um die Trennung von der Mutter nach der Geburt, die vom Freund oder die von der Großmutter, die gestorben ist. Anselm Dalferth hat nicht nur thematisch einen weiten Bogen geschlagen, auch musikalisch bringt er gekonnt zusammen, was erstmal konträr wirkt, sich aber erstaunlich harmonisch ineinander fügt. Sehr locker spielt Dalferth mit Ritualen des Abschiednehmens und einer Trauerfeier, konzipiert einen Assoziationsreigen mit der großartigen Sibel Polat im Zentrum.

Aus Lauten entwickeln sich Mozart-Melodien

Sie beginnt die Vorstellung mit einer Solo-Performance, betritt die Bühne auf einer Linie balancierend und spielt ihren eigenen Abschied, legt sich schließlich in die pinke Badewanne, die Birgit Keller und Christian Schlechter ins Zentrum der Bühne gestellt haben. Sie mutet an wie ein Sarg. Im Hintergrund leuchten die Buchstaben THE END auf, das Publikum applaudiert. Nach und nach versammeln sich Ensemble, Musikerinnen und Musiker auf der Bühne. "Ich gehe", sagt Jolanda Pusch. "Du bleibst", antwortet Tobias Radcke. Während sich auf der Bühne und im Zuschauerraum ein Fang-Spiel zwischen den beiden entwickelt, baut sich auf der Bühne die Musik auf, aus Lauten entwickeln sich die Mozart-Melodien, bis schließlich das gesamte Streichorchester spielt.

"Die Erde über mir" in der Schauburg.
"Die Erde über mir" in der Schauburg. © Florian Ganslmeier

Und so rutschen alle ganz unbemerkt mitten rein in die klassische Musik, alle sind gebannt, lauschen. "Wie geil war das denn?", fragt dann auch Sibel Polat. "Was soll jetzt noch kommen?" Eigentlich könnten sie jetzt alles abblasen, man soll ja aufhören, wenn's am schönsten ist. Außer, ja außer es käme vielleicht doch noch Taylor Swift oder eine Feuershow. Wer weiß das schon?

Abschiede von falschen Idealen

Beides geschieht natürlich nicht. Aber wer nach diesen ersten acht Minuten tatsächlich gehen würde, würde einiges verpassen! Wer gehen würde, könnte die Philosophie der Einmaligkeit jedes einzelnen Augenblicks in diesem Leben nicht miterleben; würde Abschiede von alten Zahnbürsten, Fusseln im Bauchnabel und Freunden, die keine mehr sind, verpassen; Abschiede von Zwängen, Rollenbildern und falschen Idealen.

Er dürfte nicht mitansehen, wie Sibel Polat und Tobias Radcke Szenen einer Trennung performen, den Abschied immer wieder vertagen, weil so ein Abschied eben selten leicht ist. Er würde verpassen, wie diese so gut gelaunte Produktion einem ganz nebenbei sowohl allerlei schmerzhafte Wahrheiten unterjubelt als auch eine Menge klassischer Musik, die sich ganz natürlich um die sehr alltäglichen Szenen schmiegt. Gebrochen wird sie von den Sounds von Nicholas Morrish, die das Publikum untermalt von grellen Lichteffekten immer wieder auf den Boden holen.

"Die Erde über mir" in der Schauburg.
"Die Erde über mir" in der Schauburg. © Cordula Treml

Gekonnt verbindet diese Produktion die allumfassende Endlichkeit, die vielen kleinen Tode und Abschiede, mit einer großen Lust am Leben. Mit all den Wünschen, die noch auf der Bucket List stehen: ein Bad in einem Pool voller Schokoladen- und Vanillepudding, Kuscheln mit einem Erdmännchenbaby - und Markus Söder ins Gesicht kotzen. Dalferth mutet seinem jungen Publikum einiges zu, fordert es heraus mit abstrakten und auch poetischen Bildern, mit großen Themen und viel Musik. Das Publikum ist voll dabei. Nein, Jugendtheater muss wahrlich nicht eindimensional sein und sich anbiedern. Es muss und darf Geist und Seele betören. Wie jedes gute Stück Theater. Nach diesen dichten 90 Minuten fragt man sich jedenfalls, warum man nicht gleich an Mozarts Requiem gedacht hat. Für eine Achtklässlerin jedenfalls steht fest: "Das ist jetzt mein Lieblingsstück. Das könnte ich mir immer wieder anschauen!"

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