Die Provinz mit der Seele suchend
Vor Wagners Villa Wahnfried klafft ein riesiges Loch. Die Fassade des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel versteckt ihr brüchiges Make-up hinter einer bedruckten Plastikplane. Im Markgräflichen Opernhaus, seit 2012 Weltkulturerbe, hat nur der Kassenraum geöffnet – das Innere wird renoviert. Und um ein Konzept draus zu machen, haben die Bayreuther auch ihre spätgotische Stadtkirche wegen Sanierung mit Gittern abgesperrt.
Es scheint, als hätte der 200. Geburtstag des Meisters die fränkische Wagnerstadt unerwartet getroffen. Dabei reizte die in den 1970er Jahren konzipierte Dauerausstellung in Wahnfried schon länger zum Fremdschämen. Sie erweckte den Eindruck, als seien die Festspiele nach 1933 ein völlig normaler Theaterbetrieb gewesen. Vor einem Jahrzehnt fiel das auch den Bayreuthern auf. Ein ewiges Hin und Her samt Streit mit den Nachbarn begann, und so konnte der Grundstein für einen Erweiterungsbau erst am Tag nach der Eröffnung der diesjährigen Festspiele gelegt werden.
In Wagners entkernter Villa zeigt das Haus der Bayerischen Geschichte wenigstens eine Kurzfassung der „Götterdämmerung“ betitelten Herrenchiemseer Ludwig II.-Ausstellung. Das Jean Paul-Museum wurde – immerhin! – rechtzeitig zum 250. Geburtstags des Wahlbayreuthers fertig. Es ist recht gelungen. Nur: Das Zeitbudget eines Wagnerianers wird bereits durch die Riesenwerke des Meisters stark beansprucht, und da bleibt eigentlich nichts mehr übrig, um sich durch die Tausendseiter dieses bizarren Romantikers durchzufressen.
Wahrscheinlich ist die Schließung fast aller wichtigen Sehenswürdigkeiten Bayreuths eine heimliche Wagner-Ehrung. Die protestantische Stadtkirche braucht der Wagnerianer ohnehin nicht – dafür hat er seinen „Parsifal“. Das Markgräfliche Opernhaus weihte Wagner zwar durch eine Aufführung von Beethovens Neunter anlässlich der Grundsteinlegung seines Festspielhauses, doch für die Musikdramen erwies es sich als zu klein. Und die staatliche Schlösserverwaltung hat dieses prachtvolle Barocktheater ohnehin in einen kitschfeministischen Tempel für die feingeistige Schwester Friedrichs des Großen verwandelt.
Barockmusik, wie sie Wilhelmine von Bayreuth komponierte, ist für Wagnerianer eh zu poplig. Der Meister wollte, dass nichts von der Konzentration auf das Eigentliche ablenken sollte: der Aufführung. Aus diesem Grund drängen sich seine Musikdramen auch schon in den frühen Nachmittag. Und gerade deshalb sollte der „Ring des Nibelungen“ erst in einem provisorischen Theater am Rhein aufgeführt werden, darum hintertrieb Wagner auch den Bau des von Ludwig II. geplanten Festspielhauses auf dem Isarhochufer in München, das der Meister für eine Großstadt hielt.
Und deshalb wollte Wagner die Provinz. In Bayreuth hat er sie reichlich bekommen.