Die Oper "Peter Grimes" von Benjamin Britten im Prinzregententheater

Dem Gärtnerplatz glückt Benjamin Brittens Oper „Peter Grimes“ mit Gerhard Siegel im Prinzregententheater
Robert Braunmüller |
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Er ist Täter und Opfer zugleich, ein Außenseiter, bösartig und verstockt. Ein unbehauster Visionär unter Spießern, der Träumen vom bürgerlichen Reichtum und dem trauten Heim nachhängt. Der Fischer Peter Grimes, schuldlos schuldig für den Tod seiner Lehrjungen verantwortlich, trägt Züge des Komponisten Benjamin Britten: eines sich unverstanden fühlenden schwulen Künstlers, dem nicht zu helfen war.

Diese Rolle fordert jeden Tenor bis an seine Grenzen. Gerhard Siegel, berühmt geworden als Mime in Wagners „Ring“, ist von seiner bulligen Erscheinung her für die Rolle ideal. Im Prinzregententheater setzt er seine Charakterstimme hart gegen Lyrismen und Heldenkraftausbrüche. Unglaublich zart singt er „Now the Great Bear and Pleiades“, um wenig später ebenso glaubhaft und heftig in verbiestertem Jähzorn wie Otello zu rasen.

Ein herausragender Hauptdarsteller, ein gutes Ensemble

Siegel gelingt ein komplexes, unbedingt sehens- und hörenswertes Rollendebüt, das im Lauf der kommenden Aufführungen noch zur letzten Perfektion nachreifen wird. Das Publikum der Premiere des umbaubedingt wandernden Gärtnerplatztheaters schloss allerdings Edith Hallers Dorflehrerin stärker ins Herz: eine strahlende jugendlich-dramatische Sopranistin, die von der Regie zu mondän charakterisiert wurde. Ihr Außenseitertum als Bücherwurm im Fischerdorf kam kaum vor.

Einigen singenden Darstellern kleinerer Rollen gleitet das Englische nicht ganz natürlich aus der Kehle. Aber das stört bei dieser insgesamt sehr runden, packenden Aufführung nicht wirklich.

Der Chor drängte vor lauter Singlust das sehr transparent, farbig und mit ein paar unwesentlichen Wacklern spielende Orchester des Gärtnerplatztheaters bisweilen in den Graben zurück. Chefdirigent Marco Comin ließ Brittens eigenwillige Anverwandlung seiner Vorbilder Verdi, Debussy und Purcell strahlen, ohne die düsteren Untertöne zu unterschlagen. Für das Stammhaus wäre dieses 1945 in London uraufgeführte Werk wahrscheinlich eine Nummer zu groß, und gerade deshalb ist es so erfreulich, dass das Gärtnerplatztheater bis zur Wiedereröffnung zeigen kann, was in seinem Orchester und Chor alles steckt.

Psychologie und Sozialarbeit

In Balász Kovaliks Inszenierung prügelt Grimes, weil er selbst als Kind von seinem Vater geschlagen wurde. Gezeigt wird dies als stumme Szene zum Passacaglia-Zwischenspiel im zweiten Akt. Die Erklärung schmeckt zwar nach Küchenpsychologie und Sozialarbeit, ist aber höchst überzeugend aus der immergleichen Wiederkehr des Bass-Motivs in der musikalischen Form entwickelt und steht so sehr plausibel für den ewigen Kreislauf der Gewalt.

Der Chor lässt alle Gefühlsanfechtungen an seinen durchsichtigen Folienmänteln abperlen. Ein durchsichtiger Plastikvorhang vertritt Wind, Meer und Regenwetter, ein drehbarer Container alle Innenräume: Es wirkt wie improvisiert, ist aber effizient und wirkungsvoll zugleich (Bühne: Csaba Antal).

Sonst erzählt Kovalik die Geschichte klar vom Blatt. Allerdings verwandeln seine Spießbürger sich arg unvermittelt in eine Nazi-Hetzmasse. Und zu der ungeheuerlichen Szene am Ende, wenn Ellen und Balstrode (Ashley Holland) mit empörender Gefühlskälte Grimes zum Selbstmord drängen, hätte man gerne die Meinung des Regisseurs erfahren. Oder sollte die Szene einfach für sich sprechen? Das ist ehrenwert, wirkt aber schnell wie eine Verlegenheit.

Aber das sind Klagen, die nur vom Extraklasse der Aufführung provoziert werden. Wir Münchner befinden uns seit über einem Jahr im Opernwunderland: Die Staatsoper hatte am Sonntag Glück mit Janácek, und davor klappte auch fast alles. Wir Kritiker können nur loben, loben, loben. Und beiden Opernhäusern dieser Stadt wünschen, dass das ewig so weitergeht.

Prinzregententheater, 23., 27., 29., 31. 10., 19.30 Uhr, 1. 11., 18 Uhr, Karten unter Tel. 21 85 19 60

 

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