"Die Nase" in der Bayerischen Staatsoper: Politik und Dada
München - Mit dem Ende der Opernfestspiele verabschiedeten sich Kirill Petrenko und Nikolaus Bachler von der Bayerischen Staatsoper. Am Sonntag bringt der neue Intendant Serge Dorny seine erste Premiere auf die Bühne: die Oper "Die Nase" von Dmitri Schostakowitsch. Kirill Serebrennikov inszeniert, die musikalische Leitung hat der neue Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski.
AZ: Herr Jurowski, es fällt auf, dass Sie in der ersten Saison - außer dem "Rosenkavalier" - keine typischen Generalmusikdirektoren-Stücke dirigieren und mit den "Teufel von Loudon" als Festspiel-Premiere auch noch eine sehr selten gespielte Oper.
VLADIMIR JUROWSKI: Es ist doch langweilig, wenn alle das Gleiche machen. Mir liegen diese gesellschaftskritischen Opern der späten 1960er Jahre sehr - ebenso wie Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten". Aber die sind hier schon gelaufen. "Die Teufel von Loudon" gehören ins Programm eines großen Opernhauses, aber natürlich nicht nur allein. Es setzt ein Zeichen, wenn der Generalmusikdirektor diese Werke dirigiert.

"Die Nase" hat durch die Person des Regisseurs einen politischen Aspekt.
Kirill Serebrennikov ist vor allem ein ausgezeichneter Regisseur, mit dem ich schon lange einmal arbeiten wollte. Wenn es ein Stück gibt, das zu ihm passt, dann ist es "Die Nase".
Weshalb "Die Nase keine Gesellschaftssatire ist
Weil "Die Nase" eine politische Oper ist?
Das ist ein Missverständnis. "Die Nase" ist keine Gesellschaftssatire. Es ist ein Werk des russischen Existenzialismus und Dadaismus. Beides ist, natürlich indirekt - wie Kafka beispielsweise - politisch, teilweise auch ungewollt. Davon abgesehen dachte Nikolai Gogol, der Autor der Vorlage, gesellschaftlich konservativ, obwohl er absurde Literatur avant la lettre geschrieben hat. Ionesco und Beckett beispielsweise halte ich ohne Gogol gar nicht für denkbar.
Und Schostakowitsch?
Er stammte aus der Mittelschicht, seine Familie waren keine Bolschewiken. Schostakowitsch war bei der Oktoberrevolution elf Jahre alt, die Sowjetrepublik hat ihm alles gegeben. Außerdem war das noch nicht die Zeit des Stalinismus. Ästhetisch war er beeinflusst von westlichen modernen Opern wie "Wozzeck" und den experimentellen Inszenierungen des russischen Regisseurs Wsewolod Meyerhold. Es wäre ihm wohl nicht eingefallen, in "Die Nase" eine antisowjetische Satire zu sehen.

Russische Tradition und gleichzeitig Parodie
Wie erklären Sie jemandem Schostakowitschs Musik, der sie nicht kennt?
Sie steht in der russischen Tradition von Mussorgsky und Tschaikowsky, parodiert sie aber auch. Andererseits gibt es geniale Vorwegnahmen der Zukunft, etwa der Polystilistik oder in der Verwendung des Schlagzeugs.
Der Regisseur Kirill Serebrennikov wurde wegen angeblicher Veruntreuung staatlicher Gelder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, was hierzulande als politisches Urteil gilt.
Serebrennikovs Inszenierung hat nichts mit der aus meiner Sicht ungerechtfertigten Bestrafung zu tun. Er steht auch nicht mehr unter Hausarrest, sondern darf sich in Russland frei bewegen und arbeiten. Seine Filme laufen in großen Kinos. Er darf nur das Land nicht verlassen, bis er das Geld zurückbezahlt hat, das ihm als angebliche Veruntreuung vorgeworfen wurde.
So konnte geprobt werden
Wie konnte Serebrennikov dann "Die Nase" proben?
Serge Dorny und ich haben ihn oft in Moskau getroffen, wo er uns seine Bühnenbildentwürfe übergeben hat. Sein Co-Regisseur Evgeny Kulagin und die Kostümbildnerin Tatyana Dolmatovskaya sind in München. Serebennikov ist ständig per Zoom auf einem Bildschirm bei den Proben zugeschaltet, ich habe Kontakt zu ihm per Telefon.

Bei "Oper für alle" in Ansbach haben Sie auffallend viel Verismo dirigiert. Kommt da noch was nach?
In Ansbach ging es primär darum, die Solisten optimal herauszustellen. Ich schätze durchaus "Iris" von Mascagni - als Gegenstück zur "Butterfly", aber ich würde sie nicht im Nationaltheater herausbringen. Puccini kommt aber auf jeden Fall. Und Verdi ist einer meiner Lieblingskomponisten.

Vladimir Jurowski will mehr Barock spielen
Fast noch mehr hat mich Ihr Bach in einem der Montagskonzerte überrascht.
Ich möchte noch mehr Barock spielen. Die Opern überlasse ich aber den Spezialisten, im Konzert aber bringt das auch die Musiker des Bayerischen Staatsorchester stilistisch weiter.
Flugmeilen sind das Statussymbol vieler Dirigenten. Warum haben Sie vor einiger Zeit erklärt, sich da zurückhalten zu wollen?
Es ist ein verzweifelter Versuch, das eigene schlechte Gewissen nach vielen Jahren des atemlosen Hin- und Herreisens zu beruhigen. Nach der Geburt meines zweiten Sohnes hat bei mir ein Bewusstseinswandel eingesetzt, seit 2016 etwa reise ich innerhalb Europas nur noch mit dem Zug. Wir alle sollten an unserem Arbeitsplatz durch Mülltrennung und den gewissenhaften Umgang mit Elektrizität Verantwortung übernehmen, auch wenn ich mir klar bin, dass das alleine die Welt nicht retten wird. Ich möchte es jedenfalls noch erleben, dass es gelingt, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

"Der Sieg des Kapitalismus hat der Welt arg zugesetzt"
Das bleibt schwierig.
Leider haben wir die Zeit zwischen Mitte der 1980er Jahre und jetzt verpasst. Das Leben Vieler wurde besser, aber der Konsum wurde noch verrückter. Insofern hat der Sieg des Kapitalismus der Welt arg zugesetzt. Aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen, sondern müssen den gegenwärtigen Zustand verbessern.
Wollen Sie mit dem Bayerischen Staatsorchester reisen?
Orchesterreisen sind wichtig, sie nehmen einen kulturellen Auftrag des Dialogs wahr. Reisen, die nur der Imagepflege dienen oder rein kommerziell sind, lehne ich ab. Das Bayerische Staatsorchester steht vor seinem 500-jährigen Jubiläum. Da werden wir uns schon in Europa zeigen - aber, wenn es geht, mit dem Zug.
Klarheit in der neuen Isarphilharmonie
Waren Sie schon in der neuen Isarphilharmonie?
Ja. Ich hatte aber auch nie etwas gegen den Gasteig. Immerhin hat Sergiu Celibidache dort seinen sehr schönen Orchesterklang entwickelt, gerade bei französischer Musik. Klarheit habe ich dort aber nicht verspürt. Die gibt es nun in der Isarphilharmonie. Man muss jedem Saal und den dort spielenden Orchestern die Chance einer Entwicklung geben.
Ziehen Sie von Berlin nach München um?
Ich habe eine Wohnung in der Nähe der Oper, aber das wird vorerst kein zweiter Wohnsitz. Einer meiner Söhne ist 13 und geht in die siebte Klasse, und ich möchte ihm keinen Wechsel zumuten. Ich pendle mit dem Zug zwischen Berlin und München. Manchmal erwische ich den schnellen Sprinter. Aber ich möchte auf jeden Fall München noch mehr für mich entdecken.
Premiere am Sonntag, 19 Uhr, Restkarten. Weitere Vorstellungen am 24., 27. und 30. Oktober, 2. und 5. November. Die Vorstellung vom 27. Oktober wird als Livestream auf staatsoper.tv übertragen.