"Die Möwe" von Tschechow, inszeniert von Christian Stückl

Christian Stückl inszeniert Anton Tschechows „Die Möwe“ im Volkstheater als richtige Farce
von  Michael Stadler
Die "Möwe" im Volkstheater.
Die "Möwe" im Volkstheater. © Arno Declair

Lustig ist das Leben, doch letztlich stürzt jeder ab, wie eine abgeschossene Möwe. Als Komödie hat Anton Tschechow sein Stück „Die Möwe“ bezeichnet, auch wenn er, typisch für sein Gesamtwerk, eine im Unglück watende Gesellschaft zeigt, hier bestehend aus Schriftstellern, Schauspielern, Lebenskünstlern, die um Anerkennung und Liebe kämpfen und dabei kläglich scheitern müssen, weil Ruhm halt doch keine Seelenruhe bringt und die Begehrenslinien leider immer verquer verlaufen.

Im Volkstheater hat Stefan Hageneier eigentlich eine passende Bühne für dieses Drama hingebaut: ein unwohnliches Wohninterieur mit hoch aufragenden Türrahmen, in fahlem, brüchigem Weißgrau gestrichen, ohne die Möglichkeit eines boulevardigen Tür-auf-Tür-zu, dafür mit einer Pfütze, die sich in das weite leere Hinten ausdehnt, auf dass die Figuren tragisch sich die Schuhe platschend nässen.

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Dass Christian Stückl als humoraffiner Regisseur jedoch auf Komödie aus ist, offenbart sich schnell an diesem über zweieinhalbstündigen Abend – allein schon beim Anblick der Kostüme und Haarteile, die Hageneier als Kostümbildner den Schauspielern verpasst hat, im knalligen Kontrast zum Bühnenbild. Beim Arzt Dorn, den Mehmet Sözer mit knuffig-schlaksiger Flinkheit spielt, säumt ein lockiger Haarkranz die Glatze. Pola Jane O’Mara sieht aus wie eine Gothic-Version des Struwwelpeters. Sie geht als Mascha eine Ehe mit einem Lehrer ein, weil der sie halt liebt. Timocin Ziegler verströmt dazu mit sich lichtendem Hinterhaupthaar rührende Melancholie. Irgendwann geht alles, ach, verloren.

Popoklatsch und Tschechow

So hat selbst der Schauspielglanz sein Verfallsdatum, wie auch die Diva Arkadina spürt. Mit dem erfolgreichen Schriftstellerin Trigorin, beide auffallend rot in Haar und Kostüm, ist sie zu Gast im Hause ihres Bruders Sorin. Als Theaterrückkehrerin hat Jule Ronstedt als Arkadina einen hübsch aufgedrehten Auftritt, bei dem sie ihrem Lover Trigorin auch mal den blanken Arsch versohlen darf.

Popoklatsch ist wohl nicht ganz in der Tradition Tschechows, aber trägt spürbar die Handschrift Stückls. In seiner ersten Tschechow-Inszenierung pfeift er weitgehend auf die Schwermut der Vorlage, sondern treibt das Stück in eine Farce über Selbstdarsteller und Liebesunfähige. Humor ist, wenn einer abgeht – und dann doch noch mal kommt. Oder wenn einzelne Sätze wiederholt werden, insistierend, hin zum Anfall. Leinen los für alle: Selbst das Hausmädchen gerät zur großen komischen Nummer, weil Luise Deborah Daberkow ihre Figur mit so viel innerem Dampf und so vielen Ticks – Fingerzuck, Zwinker-Zwinker – ausstattet, dass man aus dem Hinschauen gar nicht mehr rauskommt.

Sch(m)erz, lass nach

Wer die meiste Aufmerksamkeit bekommt, das ist nun mal nicht berechenbar; umso sinnloser ist das verzweifelte Streben danach. Der Jungdramatiker Treplow und die ehrgeizige Schauspielerin Nina, beide blond, beide mit jugendlichem Furor, scheitern wie alle anderen. Selbst beim Selbsttötungsversuch versagt Treplow (zunächst). Dann sitzt Oleg Tikhomirov mit Kopfbandage da, ein armer Tropf, der lächerlich wirkt, aber auch so menschlich verzagt, dass man ihn bedauern kann.

Berührend ist dieser Abend nicht gerade, mit seiner Lust an der Farce treibt Stückl dem Stück das Sentimentale aus. Aber dann gibt es doch ein paar ernstere Momente: So waschlappenhaft die Klage Trigorins ist, dass ihm der Ruhm so gar kein Glück bringt, so nuanciert nimmt einen da Jakob Gessner mit. Und Pascal Fligg findet als schwer kranker Onkel Sorin nach einem Zeitsprung von zwei Jahren zu einem tragischen Bogen. Dann sitzt der einst so töffelige Hobbyphilosoph Sorin still und trist im Rollstuhl, Haare und Humor stark ausgedünnt, und er lässt das Lachen der Hausgäste, die ihn mit einer Geburtstagsparty überraschen, mit seiner Hoffnungslosigkeit ersterben. Sch(m)erz, lass nach.

Nina, in die Treplow sich verliebt hatte, die aber lieber mit dem berühmten Trigorin fortging, kehrt mit gekürzter Mähne zurück. Den Enthusiasmus der Jungschauspielerin haben Zeit und Erfahrung weggeschoren. Julia Richter hat eine schauspielerische Kraft, die Stückl am Ende etwas arg poltern lässt.

Aber es ist insgesamt wunderbar zu sehen, wie gekonnt das Ensemble jede Figur (über)zeichnet, um kleine Striche hinzuzufügen. Ein sehr komischer Abend. Eine Möwe, die abhebt.

Volkstheater, 1., 6., 12., 13. November sowie 2., 3., 8., 9., 17. Dezember, 19.30 Uhr; Karten unter Telefon 523 46 55

 

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