Die Kammerspiele und die Monacensia schaffen weibliche Friedensutopien

München - Im April 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, fang in Den Haag der Internationale Frauenfriedenskongress statt. Über 1.000 Teilnehmerinnen aus 12 Nationen folgten dem Aufruf aus der deutschen Frauenbewegung, unter anderem von Anita Augspurg, sowie der ersten Ärztin der Niederlande, Aletta Jacobs.
Der Forderungskatalog von damals ist heute noch aktuell
Sie erarbeiteten einen Forderungskatalog, der damals visionär war – und bis heute (leider) nichts an Aktualität eingebüßt hat. Sie forderten unter anderem einen Internationalen Gerichtshof (den es heute in Den Haag gibt) sowie die Verurteilung von Vergewaltigungen als Kriegswaffe. Sie formulierten konkrete Forderungen, aber auch Utopien zur dauerhaften Herstellung und Sicherung des Friedens.
Auch heute sehen wir uns wieder mit der Frage konfrontiert, "Wie können wir eine Friedensordnung aufstellen?", formuliert Olivia Ebert, Dramaturgin an den Münchner Kammerspielen, im Pressegespräch. Gemeinsam mit der Monacensia im Hildebrandhaus plant das Theater nun vom 31. März bis 23. April unter dem Titel "Female Peace Palace" ein Erinnerungsfestival. Denn: weder die Forderungen nach Gleichberechtigung sind über hundert Jahre später zufriedenstellend umgesetzt, noch herrscht Frieden in der Welt.
Schon in der "Zeit der Unschuld", wie Barbara Mundel die Vorbereitungszeit auf ihre Intendanz an den Münchner Kammerspielen nennt, sei die Monacensia eine Art "Sehnsuchtsort" für sie geworden, ein Ort, an dem sie München und seiner Literatur, vor allem auch der weiblichen, näher gekommen sei.
Denn auch das Literaturarchiv hat es sich zum Ziel gemacht, das weibliche Kulturerbe nicht nur zu bewahren, sondern in der Stadt und darüber hinaus sichtbarer zu machen, so Anke Buettner, die Leiterin der Monacensia.
Das Programm will Debatten und Kunst zusammenbringen
Da haben sich also zwei gefunden, die ein gemeinsames Ziel vereint. Seit einem Jahr arbeitet das Team nun an der Planung des Festivals. Dass die Themen seither durch die Proteste im Iran und ganz aktuell in Georgien, aber auch durch die Friedensdebatten rund um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer noch viel brisanter geworden sind, zeigt, wie wichtig eine derartige Auseinandersetzung auch heute ist.
Das Programm nun will Debatten und Kunst zusammenbringen. Im Rahmen von Versammlungen gibt es Diskussionsveranstaltungen und Podiumsgespräche mit internationalen Aktivist*innen, eine Art Reenactment und Weiterführung des Frauenfriedenskongresses, zu dem selbstverständlich auch Männer herzlich eingeladen sind.
Die Kammerspiele bringen vier Premieren rund ums Thema heraus, die ergänzt werden von Wiederaufnahmen und Repertoireproduktionen. Jessica Glause inszeniert "Anti War Women" im Schauspielhaus (Premiere 31. März) und zieht wie bereits in ihrer Arbeit "Bayerische Suffragetten" Linien von der Münchner Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts ins Hier und Jetzt. Die ukrainische Autorin Natalia Vorozbhyt schreibt "Green Corridors" ein aktuelles Stück zum Krieg in der Ukraine, zu Flucht und Konflikten, die weit in die Geschichte Europas und der Ukraine zurückreichen (Premiere 14. April).
Das "Peace Palace Camp 2023" – für die Aktivist*innen von morgen
Miriam Ibrahim erarbeitet eine Intervention zur afroamerikanischen Bürgerrechtlerin Mary Church Terrell: "In my hands I carry" (Premiere 14. April). Die Produktion "Halide" beschäftigt sich mit der türkischen Frauenrechtsbewegung und der umstrittenen Freiheitskämpferin Halide Edip Adivar. Geprobt wird in Istanbul, zur Premiere kommt das Stück von Emre Koyuncuoˇglu dann am 20. April im Werkraum.
Für die Aktivist*innen von morgen gibt es in den Osterferien ein "Peace Palace Camp 2023", in dem alle zwischen 14 und 23 Jahren Interventionen für den öffentlichen Raum erarbeiten können. Gecoacht von Profis wie Christiane Huber, Gabi Blum, Bernadette La Hengst, den Kollektiven B! Molestia aus München oder Sonqo Ruro aus Peru. (Anmeldung bis 31. März über die Münchner Kammerspiele.)
Zusätzlich gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit einem Podcast, der schon jetzt angehört werden kann, und der bis Ende Juli laufenden Ausstellung in der Monacensia "Frei leben! Die Frauen der Boheme. 1890-1920". Denn auch nach der Festivalzeit soll und darf das Thema nicht wieder verschwinden. "Wir wollen kontinuierlich weiterarbeiten", verspricht sie. Die Zeit jedenfalls war nie reifer als genau jetzt!