Die erste Saison von Markus Hinterhäuser

Die erste Saison der Salzburger Festspiele unter dem Intendanten Markus Hinterhäuser – eine Bilanz
Ein neues Gesicht ist er nicht. Markus Hinterhäuser hat die Salzburger Festspiele schon 2011 nach dem Abgang von Jürgen Flimm eine Saison lang geleitet. Er war lange Zeit Konzertchef und davor in den neunziger Jahren Mitbegründer des mit den Festspielen verbundenen Zeitfluss-Festivals für Neue Musik. Aber das absolut Neue passt nicht wirklich zu den Salzburger Festspielen. Die müssen einen größeren Teil des Etats an der Kartenkasse einspielen als ein Staats- oder Stadttheater. 79 Prozent, also weit mehr als zwei Drittel des Budgets von insgesamt 61 Millionen Euro, speisen sich aus privaten Mitteln, der Rest, 12,81 Millionen Euro, kommt aus öffentlichen Töpfen.
Als Groß-Institution sind die Festspiele naturgemäß konservativ. Aber der wahre Konservative weiß auch, dass sich alles wandeln muss, damit das Gute so bleibt, wie sie ist. Einem weit verbreiteten Vorurteil zum Trotz war das auch schon vor der Ära Gerard Mortier so. Schon zu Karajans Zeiten gab es Uraufführungen der Dramen von Thomas Bernhard. Und das Kronos Quartett spielte im Mozarteum Jimi Hendrix als Zugabe, ehe ein Ritual draus wurde.
Zuletzt, in der bleiernen Ära von Alexander Pereira, lief der Betrieb mit einer Überfülle an mäßig geprobten Premieren heiß. Die Opern waren vorhersehbar und das Sprechtheater oft langweilig. Denn das vom Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf geliebte solide Gebrauchstheater angelsächsischer Prägung funktioniert bei Festspielen nur bei Schauspielern mit Ecken und Kanten, die sich an der Salzach allerdings nicht sehen ließen.
Im Gleichgewicht
Trotz eines von Anna Netrebko gestalteten Teeservices im Festspielshop und den von der Dieselaffäre unangefochtenen dicken Autos der Sponsoren vor dem Festspielhaus befinden sich Glamour und Inhalt nun wieder im Gleichgewicht. Als Eröffnung gab es „La clemenza di Tito“ unter dem Mozart-Extremisten Teodor Currentzis, der vom Publikum gleichzeitig geliebt und gehasst wurde. Auch wenn der gefühlspolitische Regiestil von Peter Sellars in die Jahre gekommen wirkt: Es war ein starkes Statement zum Auftakt – musikalisch wie moralisch als Appell zu einer Politik der Versöhnung. William Kentrigde brachte Alban Bergs „Wozzeck“ und die Jahrhundertkatastrophe des Ersten Weltkriegs zwingend zusammen. Bei Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ von Andreas Kriegenburg (Regie) und Mariss Jansons (Dirigent) fehlte ein wenig die funkensprühende Reibung, die sich bei Aribert Reimanns „Lear“ fast wie von selbst einstellte.
In „Aida“ wurde der Starkult um Anna Netrebko durch das penible Verdi-Ethos des Dirigenten Riccardo Muti gebändigt. Wer genau hinschaute, entdeckte unter der glatten Oberfläche von Shirin Neshats Inszenierung auch ein paar Strudel.
Salzburgs neue Schauspielchefin Bettina Hering musste kurzfristig einen neuen „Jedermann“ aus dem Hut ziehen. Die von ihr ausgesuchten weiblichen Regie-Handschriften von der bewährten Andrea Breth („Die Geburtstagsfeier“) bis zur Theaterdebütantin Athina Rachel Tsangari („Lulu“) überzeugten nur halb. Aber es ist, stärker als in den letzten Jahren ein Wille zu Inhalten und zur Dramaturgie erkennbar. Und die zweitklassigen Schauspieler der Bechtolf-Zeit gibt es auch nicht mehr.
Moderne Opern, gute Zahlen
Das alles zahlte sich auch an der Kasse aus: Die Auslastung lag nach Angaben der Festspiele bei 97 Prozent. Die 261 500 verkauften Karten brachten den Festspielen Einnahmen von rund 30 Millionen Euro und folglich einen Überschuss von 1,6 Millionen Euro. Diese Mehreinnahmen benötigen die Festspiele dringend für die Sanierung des Großen Festspielhauses. Bis zuletzt gab es allerdings Restkarten: Die Käufer, so scheint es, entscheiden sich immer kurzfristiger. Markus Hinterhäuser hat die seltene Gabe, die richtigen Künstler mit den richtigen Programmen zusammenzubringen. Er ist nicht nur Kulturmanager, sondern spricht als Pianist auf Augenhöhe mit seinen Künstlern. Davon profitieren die Konzerte, in denen Musik des 20. Jahrhunderts ganz selbstverständlich und zwanglos vorkommt.
Linien wie „Zeit mit Grisey“ und „Zeit mit Schostakowitsch“ strukturieren ein Programm, das sich vom Konzert-Eintopf der hiesigen Orchester abhebt. In den werden Wünsche von Chef- und Gastdirigenten geworfen und von Generalproben für Gastspielreisen sowie ein paar Solisten geschmacklich gestreckt. Hier führt Salzburg exemplarisch vor, wie Konzertsäle gefüllt werden: nicht durch Beliebigkeit und Jahrestage, sondern mit Inhalten, dem Setzen von Beziehungen und Ideen.