Die "Dreigroschenoper", ruiniert als "Mackie Messer"
Der Anfang ist ja ganz nett. Da stellt jemand ein Grammophon auf die Brüstung des Orchestergrabens und legt die Ouvertüre auf. Dann setzen die Musiker im Graben mit der aufgepeppten Verfremdung von Kurt Weills Musik durch den Briten Martin Lowe ein. Und dazu tragen Statisten halb London in gemalten Kulissen und als Modell über die Bühne.
Anschließend gibt es Messerstiche und bissige Fische als Scherenschnitte in den Logen der Felsenreitschule. Die Schauuspielerin Sona MacDonald singt als Spelunkenjenny nicht übel dazu „Und der Haifisch, der hat Zähne“. Noch besteht Hoffnung, dass es Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf gelingen könnte, die „Dreigroschenoper“ als groß angelegte Moritat zu retten.
Anfangs ist es gar nicht so schlecht
Zur Grundidee des Duos wollen wir nicht unfreundlich sein: Crouch und Bechtolf haben die Zwanziger Jahre mit eisernem Besen ausgekehrt. Stattdessen möblieren sie das Stück mit älterem Plunder: In Salzburg spielt die Geschichte im märchenhaften London von Charles Dickens und Sherlock Holmes. Dass dort auch ein gewisser Karl Marx weilte, wird verschwiegen: Das Gespenst des Kommunismus steigt nicht aus seinem Grab auf dem Friedhof von Highgate.
Der britisch gefärbte Blick auf die „Dreigroschenoper“ hat einiges für sich. Dass sich Macheath bei der Hochzeit im Pferdestall endlos über Stilmöbel und den Gebrauch von Fischmessern aufregt, wirkt nur in einer Klassengesellschaft glaubhaft. Er ist ein ungeliebter Parvenü – wie der Räuber in der von Brecht geplünderten „Beggars Opera“ aus dem 18. Jahrhundert, die den sozialen Aufstieg von rechts kritisierte.
Aber das bleibt hübsch in historischer Ferne. Zum Kanonensong wird ein riesiger Elefant ausgerollt, auf den eine Indienkarte projiziert wird. Auch das passt: Brecht war ein Fan des Ober-Imperialisten Rudyard Kipling („Die Bürde des weißen Mannes“) und hat für den Song eines seiner Gedichte geplündert. Nur was es uns heute sagen könnte, verschweigt die Aufführung.
Auch die von Jonathan Jeremiah Peachum organisierte Bettelei wäre in Salzburg aktuell: Laut Stadtratsbeschluss drohen 500 Euro Strafe, wenn man in der Innenstadt zur Festspielzeit die Damen und Herren im Smoking um eine milde Gabe bittet. Aber dergleichen bleibt bei dieser Brecht-Aufführung netterweise draußen vor der Tür.
Nur ist Nettigkeit, wie Macheath nach der von Polly dargebotenen Seeräuberballade so treffend bemerkt, noch keine Kunst. Und beim patzigen Brecht schon gar nicht Bald lahmt das Tempo der Aufführung. Michael Rotschopf bellt den Macheath als Gentleman-Gauner. Aber von der Sorte gäbe es gefährlichere Exemplare. Pascal von Wroblewsky macht aus der Frau Peachum eine aufgetakelte Mutter-Fregatte, Sonja Beisswenger spielt die Polly als Püppchen und verzogene Göre. Die Mittel wiederholen sich, und die Figuren werden überdeutlich charakterisiert wie im Kindertheater.
Der Kapitalist und Gaunerkönig als Judenkarikatur?
Heikler ist der Fall Peachum. Graham F. Valentine hat als einziger den schnarrenden Brecht-Ton darauf. Aber er schaut aus wie Mr. Fagin aus „Oliver Twist“. Wie unbedarft ist dieser Julian Crouch eigentlich? Er inszeniert den raffgierigen, intriganten Kapitalisten und Gaunerkönig als Judenkarikatur. Hat sein deutscher Co-Regisseur Bechtolf keinerlei historisches Gespür? Machen die Salzburger Festspiele nun den schlechten alten Antisemitismus wieder hoffähig? Das ist zu heikel, um damit leichtfertig herumzuspielen.
Man greift sich nur noch an den Kopf. Und bekommt die Hand nicht mehr runter. Der Peachum mag ein Ausrutscher sein, das Arrangement der Songs ist aber eine Überzeugungstat. Ihretwegen nennt sich die Aufführung pompös „einmalige Experimentalfassung“ und „Mackie Messer“ statt „Dreigroschenoper“, obwohl sonst weitgehend Texttheater pur geboten wird.
Worin besteht das Experiment? Wenn der Text eines Songs lustig wird, lachen in Salzburg die Streicher „waah-waah!“. Jeder Takt ist anders koloriert, der Seeräubersong wird zur Unkenntlichkeit ausgebremst. Ständig fuchtelt das ganze Orchester mit dem Zeigefinger: Schaut her, wie toll der instrumentieren kann! Nur hört man vor lauter Martin Lowe Kurt Weill nicht mehr.
Selbst härteste Brecht-Sätze wie „Man schlage ihnen ihre Fressen mit schweren Eisenhämmern ein“ überzuckert Lowe bis zur Unkenntlichkeit. Aber man versteht eh nicht viel, weil außer Valentine sich alle Schauspieler für Opernsänger halten. Die Verstärkung gibt der Textverständlichkeit in den Songs den Rest. Bei den Dialogen ist die Technik diskreter: Da fällt die Nachhilfe nur auf, wenn die Darsteller plötzlich aus der falschen Richtung sprechen. Und das tun sie oft.
Die einstige Schärfe der „Dreigroschenoper“ mag historisch verblasst sein. Ihre Gesellschaftskritik ist so wohlfeil, dass nach dem Satz „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“ spontan applaudiert wird.
Dieses Stück ist schwierig. Aber nun weiß man: Es ist keine Lösung, den Operettenanteil soweit nachzuzuckern, bis ein Musical herauskommt. In Salzburg sind dem Haifisch vor lauter Karies alle Zähne ausgefallen.
Restkarten für die Vorstellungen am 23., 25. und 27. August, 19 Uhr in der Felsenreitschule unter www.salzburgfestival.at
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