Die Bühne als Sucht

Der Kabarettist über Auftritte als Ventil, zunehmende Gewalt und sein neues Programm 
Thomas Becker |
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Sigi Zimmerschied
Sebastian Gollnow/dpa Sigi Zimmerschied

Im neuen Programm „Heil. Vom Koma zum Amok“ feiert Sigi Zimmerschied in der Lach- und Schießgesellschaft 65. Geburtstag – alleine. Die Gäste imaginiert er herbei: ein Geistlicher, ein Bundeswehrkamerad, seine Ex. Alle lädiert. Sigi Heil trinkt sich das Elend schön. Aber am Ende geht doch die Welt unter...

AZ: Herr Zimmerschied, das klingt nicht gerade nach einer fröhlichen Feier...
SIGI ZIMMERSCHIED: Aber nach einer ereignisreichen. Sigi ist auch nicht unfröhlich, nachdem er kapiert hat, dass keiner kommt und er sich die Wirklichkeit selber herstellen muss. Dann säuft er sich seine Gäste halt her. Ein sehr turbulenter, markanter Geburtstag.
Kernthema ist die Gewalt. Das Entstehen und die Genealogie von Gewalt. Welche Koordinaten braucht es, damit jemand am Schluss so einen Geburtstagsabend in ein Massaker münden lässt? Wo kommt die Bereitschaft her? Dem versuche ich anhand dieser Person nachzuspüren. Ganz langsam und schleichend entwickelt sich eine Biografie, ein Bild, das viel von dem erklärt, was am Schluss passiert. Er rastet ja irgendwan aus. Irgendwann halten all die Linien, Haltegriffe und Anker aus Alkohol und Verdrängung nicht mehr. Spätestens nach dem Öffnen seines Rentenbescheides dreht er dann durch.

Wie würde so ein Rentenbescheid auf Sie wirken? „Vielen Dank, Herr Zimmerschied, jetzt langt’s dann mal mit der Bühne...“
So was wie Rente ist in unserem Beruf ein Fremdwort, zumindest wenn man ihn mit meiner Mentalität betreibt. Ein Leben ohne Bühne ist nicht denkbar. Das ist zu sehr Wesen von mir. Solange ich noch sitzen, sprechen und schreiben kann, werde ich auf der Bühne sein. Wenn mir das jemand wegnähme, würde das zu dem Ende führen, das meine Hauptfigur da erlebt. Das käme dann woanders raus, und das wäre für niemanden gut.

Die Bühne als Ventil.
Schon immer, auch ein Aufarbeitungsort. Und das hört offensichtlich nicht auf! Neulich habe ich mich selber gefragt: „Is denn jetzt bald mal Schluss?“ Dann hat man wieder Teilbereiche geordnet – und schon steht das nächste Thema da! Ich hinterfrage das aber nicht mehr. Solange sich irgendwas in mir an irgendwas außer mir entzündet, zum Thema und Text wird und nach Umsetzung verlangt, solange mache ich das.

In den unterschiedlichsten Formen.
Die sind vielfältiger geworden. Durch den Roman ist verstärkt die Autorenschaft dazu gekommen. Ich bin auch mal gern „nur“ Schauspieler, spiele eine Rolle für jemanden, der diese Rolle gestaltet. Aber die Königsdisziplin ist das Kabarett. Da bist du Autor, Regisseur, Darsteller, manchmal auch dein eigener Zuschauer – komplexer geht’s nicht. Selbst wenn man eine Thomas Mannsche Disziplin an den Tag legt, ist das nicht so anstrengend wie zwei Stunden Solokabarett auf die Bühne zu stellen, bei dem du so viel zu berücksichtigen musst. Es ist die spannendste Form: den Text, den du schreibst, selbst zu gestalten, zu rhythmisieren, zu strukturieren und zu spielen.

Und zwar so stark, dass ein neues Programm daraus wird.
Dem komme ich gar nicht aus. Und wenn nix mehr kommt, dann war’s das halt, dann werde ich mich nicht mehr zwingen. Ich begleite mich derzeit einfach selbst, höre und schaue mir zu. Solange diese Impulse automatisch kommen, wehre ich mich nicht dagegen, sondern versuche sie zu gestalten. Ich weiß auch, das ich das einfach brauche. Bühne ist schon eine Sucht. Diese Kommunikation zwischen oben und unten, zwischen dir und dem Publikum: Das ist schon ein geiler Prozess.

Das ist mir immer ein Rätsel, wie Kabarettisten von einem meist schweigsamen, reglosen Publikum profitieren.
Die akustischen Signale kriegt man schon mit, auch die Stimmungssignale. Auch bei diesem Programm werden Abende dabei sein, wo einige in Ratlosigkeit erstarren, und es werden Abende dabei sein, da wird es explodieren – weil ich ja auch einen Humor habe, auf den man draufkommen muss, auf den man sich einlassen muss. Da entwickelst du automatisch wie ein Musiker eine Sensorik für die Stimmung im Saal. Außerdem bin ich ja ein unverbesserlicher Angreifer, gehe gern runter ins Publikum, schaue mir die Leute an, spiele gern mit ihnen, habe keine Berührungsängste. Da kriegst du dann erst recht mit, wer da sitzt, wer Schuld daran ist, dass heute nix passiert ist – oder so viel.

Wie geht man damit um, wenn nichts zündet?
Wenn das Staunen und die Ratlosigkeit, das Es-nicht-fassen-Können, von dem was da passiert, immer noch dazu führt, dass eine angespannte Aufmerksamkeit herrscht, dann ist mir die Stille wurscht. Dann ist Stille eine Form von Reaktion. Wenn es entgleitet, die Leute wegdriften, dann musst du es geschehen lassen. Ich drücke dann nicht drauf, sondern schalte auf Auto-Pilot und spiele mir das Ganze selber vor. Das geht auch.

Aber frustig ist es schon.
Jein. Wenn es einem selber gefallen hat, geht es noch. Es gibt seltene Abende, wo du die Lust verlierst, dir selber was vorzuspielen, dann bringst du es halt hinter dich. Ich spiele ja auch in Filmen mit, die vom Humor her ganz anders gelagert sind, aber eine unendliche Breitenwirkung haben. Da sehen mich die Leute als Moratschek in einer Rita-Falk-Verfilmung, ein super Typ, der schnupft und lustig ist – und dann gehen sie zu mir ins Kabarett! Da haben sie schon zu arbeiten! Manche gehen auch einfach in der Pause – weil sie’s nicht schaffen.

Wie war die Genese des Sigi Heil?
Im Vordergrund war die Beobachtung, wie Gewalt langsam wieder hoffähig wird, enttabuisiert wird, dadurch auch demokratischer Konsens verloren geht. Gewalt fließt wieder in Sprache, in politisches Handeln und den Alltag ein. Dieser konkreten Bedrohung wollte ich nachgehen. Das Thema war also zuerst da. Dann habe ich nach einer Bühnenfigur gesucht, die eine Ambivalenz halten kann, die lange nicht weiß, wo das hingeht. Wenn ein Kammerjäger über das Ausrotten von Populationen redet, assoziiert man zunächst ja was anderes. Den kann man spannend, langsam, immer doppeldeutiger von der Kakerlake zum Ausländer führen. Dieses Monster ist mir dann immer sympathischer geworden, weil ich auch einiges von mir in ihm entdeckt habe.

Ein wenig autobiografisch ist Sigi Heil also schon?
Selbst in dieser gruseligen Figur ist ein Teil von mir drin. Das kann ich nicht leugnen.

Gibt es denn Hoffnung, die beschriebene Entwicklung wieder in den Griff zu kriegen?
Das ist Kaffeesatzlesen. Da reicht bei mir die Hochrechenmaschine nicht, ob das wieder besser wird. Für mich entsteht in solchen Momenten nur die Frage: Was kann ich tun? Und da kommt meine alte Lieblingsdefinition von Hanns Dieter Hüsch zum Tragen: „Kabarett ist die Kunst das Gehör zu schulen für falsche Töne“. Das ist etwas, was wir wirklich leisten können: diese schleichende Tabuisierung fassbar machen, an einer Figur, mit der man den ganzen Abend mitgeht. Damit es für jeden wieder zum Thema wird. Mehr können wir nicht leisten. Wir können aufreißen, Aufmerksamkeit schaffen, Lust an Gedankengängen erzeugen. Aber dann sind wir mit unseren Mitteln am Ende. Was über bleibt, ist die Hoffnung, dass das wie alle Aufs und Abs in der Geschichte wieder mal aufwärts geht.

Ihr realer 65. Geburtstag im vergangenen Oktober war hoffentlich nicht so dramatisch.
Der war ganz anders. Wir fahren immer weg. Ich bin mit meiner Frau in Bad Füssing in so einem Bio-Hotel für drei Tage abgetaucht, haben gut gegessen, uns massieren lassen – und das Handy abgeschaltet. Diese Häufung von Bemühtheit mag ich an so einem Tag nicht. Die Hälfte ist gewollt, die andere Pflicht, und wer mit mir reden mag, hat noch 364 Tage Zeit. Am Geburtstag mag ich meine Ruhe haben. Das tut mir sehr gut.

5. Februar bis 15. März, tägl. außer So. und Mo, 20 Uhr, Lach- und Schießgesellschaft

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