Die "Buddenbrocks" im Cuvilliéstheater
Die Familie kann Geborgenheit geben, sie kann aber auch ein Gefängnis sein. Die Ambivalenz zwischen Sicherheitsversprechen und Knast zeigt sich im Cuvilliéstheater in Form zahlreicher, unterschiedlich großer Bilderrahmen, die, teils auf dem Boden stehend, teils über ihm schwebend, Fotos einer Familie umfassen. Im Gemeinschaftsbild ist jeder und jede zu sehen als auch in Einzelporträts - die Blicke dabei oftmals ernst, weil die Fotos auch der Repräsentation dienen. Schließlich handelt es sich hier um die altehrwürdige, zum hanseatischen Großbürgertum zählende Kaufmannsfamilie Buddenbrook.
Was sich gesellschaftlich gehört und was sich nicht gehört, darüber sind sicherlich alle im Bilde, aber es gibt dann eben doch einige Familienmitglieder, die in Thomas Manns Jahrhundertroman aus dem Rahmen fallen. Das Bühnenbild von Peter Baur gibt vielfach die Möglichkeit, die inneren Haltungen zu dem, was Anstand und Sitte verlangen, augenscheinlich zu machen. Während etwa Michael Wächter als pflichtbewusster Geschäftsmann Thomas Buddenbrook meistens brav im gegebenen Rahmen bleibt, hockt Liliane Amuat als seine Schwester Antonie gleich zu Beginn leger auf einem der Bildkästen.
Widerständig gegenüber Katastrophen
Tony wird mit ihren Ehen, so vielversprechend sie zunächst klingen, kein Glück haben und droht wiederholt, mit gleich zwei Scheidungen, den guten Ruf der Buddenbrooks zu beschädigen. Dennoch erweist sie sich als beachtlich resiliente Figur, die sich von diesen und anderen Katastrophen nicht unterkriegen lässt. Liliane Amuat gibt ihr dazu die passend strahlende, selbstbewusste Kontur.
Ihr gegenüber spielt Thomas Reisinger den ersten Gatten, den schönrednerisch-steifen Bendix Grünlich, als auch den zweiten, den dampfig-heiteren Bayern Alois Permaneder, mit feinmaschiger Komödiantik.
Hervorragendes Schauspielerfutter
Insgesamt eignet sich das Personal von Manns Roman zur theatralen Dramatisierung, hat er doch jede Figur wunderbar exakt, im wohlüberlegten Kontrast zu den anderen charakterisiert.
Der Roman bietet hervorragendes Schauspielfutter, und die hier versammelten Resi-Ensemblemitglieder wissen das unter der Regie von Bastian Kraft zu nutzen. Robert Dölle ist als Konsul Johann ("Jean") Buddenbrook der aufrechte, korrekte, aber nicht unmenschliche Patriarch, wie man ihn auch im Buch findet. Katja Jung gibt die Konsulin mit ebensolcher Würde, kann aber auch aufbrausend werden, wenn sie - für die Finanzen der Buddenbrooks ungute - Entscheidungen des Herzens trifft, die Thomas in Rage bringen.
Der Burn-Out des Konsuls
Nachdem der Konsul gestorben ist, übernimmt Thomas als ältester Sohn die Leitung der Firma, hat dabei mit Gerda (Nicola Kirsch) eine nicht nur durch ihre roten Haare herausstechende, warmherzige Gattin. Hinsichtlich der Erschöpfung, die Thomas aufgrund ständigen Krisenmanagements und lästiger Repräsentationspflicht empfindet, würde man heute wohl von Burn-Out sprechen. Nicht nur in diesem Punkt ist Manns Roman weiterhin aktuell.
Michael Wächter zeichnet ein berührendes Porträt des Geschäftsmanns, der sich seiner Aufgabe hingibt, aber ob der vielen Krisen dünnhäutiger wird, bis seine Wut sich kaum mehr im Zaum halten lässt. Der Zwist mit seinem dauerkränklichen, arbeitsscheuen, dem Theater und leichten Leben zugewandten Bruder Christian, von Thiemo Strutzenberger kongenial gespielt, kulminiert in einer heftigen Auseinandersetzung, die auch auf der Bühne herzzerreißend fetzt.
Thomas Mann hat in seinem 1901 erschienenen Debütroman Dialoge geschrieben, die heute jeden Netflix-Autor vor Neid erblassen lassen würden. Bastian Kraft kondensiert sie in seiner Fassung prägnant und schlüssig. Aus fast 800 Romanseiten macht er einen dreistündigen Theaterabend (inklusive Pause), der kurzweilig ist und ein Best-of bietet, das Lust auf die (erneute) Lektüre macht und dank der Spielenden bewegt.
Das Ambiente bleibt steril
Was sich auf der Bühne jedoch - vorhersehbar - nicht herstellen lässt, ist die Atmosphäre des Romans, die durch die detaillierten Beschreibungen der herrschaftlichen Räume und Kleider, der prunkvollen Familienfeste und sich mit der Zeit häufenden Begräbnisse entsteht. Zwar rückt Sophie Lux in ihren Videos, die auf die Bilderrahmen projiziert werden, manche Stoffe und ihre Textur als Wohlstandsfetische in den Vordergrund, aber das Bühnenambiente bleibt ziemlich steril, hat nicht die Wärme, die ein von Mann genauestens geschildertes Interieur erzeugt.
So bleibt auch der Reichtum der Buddenbrooks bloße Behauptung. Nur kurz tritt der in mehreren Rollen sich wandlungsfähig zeigende Pujan Sadri als Bediensteter Anton auf. Eine wichtige Randfigur wie Haushälterin Ida Jungmann, welche die Buddenbrooks Jahrzehnte begleitet, fehlt, auch als Möglichkeit, von der Beziehung zwischen den verschiedenen sozialen Schichten zu erzählen.
Die Zeit, die in Manns Roman vergeht - die Handlung dehnt sich von 1835 bis 1877 -, ist auf der Bühne wenig spürbar, auch, weil Kraft die Darstellenden aus verständlichen Gründen nicht ständig in die Maske schickt. Die Gesichter altern hier nicht, Krafts Inszenierung ist in vielerlei Hinsicht zeitlos.
Ganz ausgezeichnet funktioniert die Idee, den jüngsten Spross der Buddenbrooks, Hanno, zum Erzähler des Abends zu machen. Während Hanno im Roman das Kindesalter kaum überschreitet, blickt Nicola Mastroberardino auf der Bühne als erwachsener Hanno auf die Geschichte seiner Familie zurück.
Mitfühlender Blick auf den Niedergang
In der zweiten Hälfte taucht Hanno auch als Junge auf (Joshua Lohmann/Elion Thaller) und tritt im Gleichschritt mit seiner älteren Version in manche Szenen hinein, was interessante Doppelbilder zwischen gegenwärtig Erlebtem und Erinnertem ergibt: Der erwachsene Hanno kann das, was passiert ist, nun reflektieren, vor allem die distanzierte Beziehung zu seinem Vater Thomas. Die ständige Präsenz von Mastroberardino als Hanno ist angenehm, voller Wärme. Sein mitfühlender Blick auf den Niedergang der Buddenbrooks wird zum Vorbild für uns Zuschauende im Cuvilliéstheater.
Cuvilliéstheater, 25. November; 2., 11., 15. Dezember, 19.30 Uhr
- Themen:
- Scheidung
- Thomas Mann