Die Antike ist vorbei - wir müssen unsere eigenen Helden sein
Es wird die vierte Tanzschöpfung des jungen Australiers, der in der Saison 2011/12 ein Jahr lang als „Choreographer in Residence“ in München gearbeitet hat und das Ensemble deshalb sehr gut kennt. Terence Kohlers Ballett „Helden“ eröffnet am kommenden Sonntag die Ballettfestwoche. Den Raum, die Bühnenobjekte und die Kostüme entwirft Rosalie.
AZ: Mr. Kohler, wer ist Ihr Lieblingsheld?
TERENCE KOHLER: Da muss ich Sie enttäuschen. Natürlich gibt es heroische Wendepunkte in der Geschichte der Tanzkunst, aber ich habe kein Vorbild, auch nicht als Choreograph. Ich versuche das Beste von jedem zu nehmen. Dabei faszinieren mich Leute, die mutig und frei etwas ausdrücken wollen.
Trotzdem haben Sie Ihr Ballett „Helden“ genannt.
Ich habe mir die Frage gestellt, was die Größe eines Menschen ausmacht. Außerdem interessiert mich, wie heute ein öffentliches Image entsteht und durch Marketing manipuliert werden kann. Mich irritiert, dass heute jeder für ein paar Minuten Held sein kann.
Dann überrascht aber, dass bei Ihnen antike Figuren wie Prometheus auftreten.
Sie kamen erst sehr spät dazu, nachdem die Grundstruktur stand. Die Brüder Prometheus und Epimetheus sind nur ein Rahmen, der den Abend gliedert. Sie bilden Gegensätze: Prometheus steht für den Fortschritt, er blickt in die Zukunft und bringt die Technologie zu den Menschen. Epimetheus steht ihm skeptisch gegenüber. Er ist der Anti-Held der Geschichte.
Weibliche Helden gibt es in Ihrem Ballett nicht?
So ist es. Weibliche Helden haben einen Zug von Femme fatale, und das wollte ich nicht. Eine weitere wichtige Figur ist Athena Parthenos: Sie ist traditionell die Göttin der Weisheit, und ich frage mich mit ihrer Hilfe, was Vernunft in einer heroischen Situation ausmacht. Sie steht zwischen den beiden Brüdern, bietet aber keine Lösung an. Denn wir müssen selbst unsere eigenen Helden sein.
Wie wichtig ist Handlung für ein Ballett?
Der Choreograph Hans van Manen hat einmal gesagt: „Ein Tänzer ist ein Solo, zwei Tänzer sind eine Beziehung“. Insofern gibt es immer eine Geschichte. Aber das Publikum steht heute unter dem Einfluß neuer Medien: Jeder Ballettabend braucht einen roten Faden, aber das muss nicht zwingend eine Handlung sein, die sich mit Worten nacherzählen lässt.
Bei Prometheus denkt man am ehesten an Ludwig van Beethoven – Sie haben aber Musik von Alfred Schnittke und Lera Auerbach ausgewählt.
Beiden gemeinsam ist die Verwendung des Cembalos und des präparierten Klaviers. Aber sie sind sehr gegensätzliche Komponisten. Schnittke schrieb sehr männlich, ich mag seine Polystilistik im „Concerto grosso“. Auerbachs Musik ist weiblich. Sie denkt beim Komponieren an Tanz, und das höre ich auch aus ihren Stücken heraus. Die Musik für den dritten Akt des Balletts hat eine besondere Geschichte: Ich sah es in New York auf Lera Auerbachs Klavier liegen. Dann ging sie auf Reisen und ihr Studio brannte aus. Das Stück ist der Versuch, sich an die Komposition zu erinnern.
Was steht am Anfang, wenn Sie ein Ballett choreographieren?
Es ist immer eine bestimmte Idee, manchmal ist es ein Bild oder ein dramaturgischer Gedanke. Sehr wichtig ist auch die Musik: Sie gibt mir die Impulse für die Bewegung. So kommt Schritt für Schritt alles zusammen. Bei „Helden“ war es mir auch sehr wichtig, den Tänzerinnen und Tänzern des Staatsballetts bei der Arbeit zuzuschauen. Die Choreographie der beiden Besetzungen unterscheidet sich daher stark. Wichtig war für mich auch die Lektüre der „Poetik“ des Aristoteles.
Das überrascht mich.
Ich habe das Ballett deshalb in fünf Akte aufgeteilt. Mich hat stark beeindruckt, was er über die Wirkung einer Geschichte auf der Bühne schreibt. Auch das antike Theater erzählte für ein konkretes Publikum in seiner Gegenwart, nicht um eine Mythologie neu zu erschaffen.
Premiere am 21. April, 19.30 Uhr im Nationaltheater. Karten: Telefon 2185 1920