Die acht Brandbriefe über das Theatersterben in München

Viele Theater der freien Szene München haben acht Brandbriefe verfasst, um die Stadt zum Handeln zu bewegen.
von  Mathias Hejny
Wut, Konzepte und Proteste laufen hier zusammen: Am Rationaltheater in Schwabing wird am Montag auch eine Diskussion stattfinden – mit einem Vertreter des Kulturreferats.
Wut, Konzepte und Proteste laufen hier zusammen: Am Rationaltheater in Schwabing wird am Montag auch eine Diskussion stattfinden – mit einem Vertreter des Kulturreferats. © RT

München – Seit Anfang voriger Woche versenden sieben Betreiber von Münchner Off-Theatern Brandbriefe an die Mitglieder des Kulturausschusses des Landeshauptstadt München. "Es brennt" lautet die Überschrift zu den Mitteilungen über die prekäre Lage der freien Theater und die noch immer ergebnislosen Verhandlungen um ein neues Fördermodell. CSU-Stadträtin Beatrix Burkhardt hatte für die jüngste Ausschusssitzung den Kulturreferenten mit einem Dringlichkeitsantrag aufgefordert, "zu diesem Prozess zu berichten".

Zwar wurde die Dringlichkeit nicht anerkannt, dennoch gab Anton Biebl einen Zwischenstand bekannt. Demnach werde dem Stadtrat im November die "Neuausrichtung" des Fördermodells präsentiert. Da ein neues Regelwerk erst frühestens 2025 wirksam werden könne, werde in Einzelfällen geprüft, wo die steigenden Betriebskosten und Raummieten kurzfristig zu existenzieller Gefährdung führen könnten. Biebl versprach in solchen Fällen "punktuelle Unterstützung".

Der Vorwurf: Die Finanzierung der Stadt München berücksichtigt den Betrieb der Theater nicht

Der Referent wies darauf hin, dass die Freie Szene nicht nur während der Pandemie von Einsparungen ausgenommen, sondern auch ein zusätzlicher Betrag von 150.000 Euro bereitgestellt worden sei.

Insgesamt vergebe die Landeshauptstadt 2024 rund 1,3 Millionen Euro an 41 Projekte im Bereich von Schauspiel und Tanz. Doch eben diese auf Projekte beschränkte Finanzierung, die den Betrieb eines Theaters nicht berücksichtige, sei das Problem, erklären die Verfasser der Briefe.

Die acht Brandbriefe der freien Theater in München

Hier folgen kurze Zusammenfassungen der acht Schreiben, die vollständig auf den Homepages unter anderem des Rationaltheaters, von Dasvinzenz oder des Teamtheaters nachgelesen werden können.

Brandbrief 1: "Aderlass: Das leise Verschwinden der Subkultur aus unserer Stadt. Wie der Mangel an Wertschätzung von Stadt und Land eine der bedeutendsten Zentren freier Kunst zerstört (hat)".
Die Verfasser verweisen auf die lange Tradition, die nicht nur eine vielfältige Off-Szene in München hat, sondern auch die Klage über die "Dreijahresförderung", gegen die schon zur Einführung 1994 demonstriert wurde. Mit diesem Modell müssen "alle laufenden Kosten, das Personal und die gesamte Infrastruktur, die nicht über ein Projekt abgerechnet werden können, von den freien Theatern zu 100 Prozent selbst finanziert werden".

Brandbrief 2: "‚ Standortnachteil: Wie horrende Mieten München zur (sub)kulturfeindlichsten Großstadt Deutschlands machen".
Der Armutsbericht gebe eine Grenze von 1.350 Euro an – einem Einkommen, bei dem "in der freien Szene Münchens die Korken knallen" würden. Künstlerinnen und Künstler müssten durchschnittlich von weniger als 900 Euro leben. Gleichzeitig sei die Steuerkraft mit 1.872 Euro pro Einwohner "bemerkenswert hoch" und hinsichtlich des Wirtschaftswachstums stehe München "unangefochten auf Platz 1". Die Theaterleute fordern daher "drei Dinge: bezahlbare Räume, bezahlbare Räume und nochmals bezahlbare Räume".

Die freien Theater in München kritisieren den "Geiz der Kulturpolitik"

Brandbrief 3: "Abwicklung der letzten 8: Eine endlose Geschichte der Selbstausbeutung". Die Protestierenden errechneten 187.500 Einwohner auf jeden die letzten acht Veranstalter, deren Projekte gefördert werden. Doch "während Musiker und Schauspielerinnen endlich nach länderübergreifenden Vergütungsregelungen bezahlt werden (sollen), ist für das Personal, das ganzjährig für den Betrieb einer Spielstätte zuständig ist, vom Kulturreferat Münchens 0 Euro vorgesehen. "Wir fordern ein Förderungsmodell", heißt es weiter, "in dem die Wertschätzung der Theaterleitung und des gesamten Personals sichtbar ist".

Brandbrief 4: "Generationenwechsel: Die Erwartung der Kulturverwalter und die Angst vor dem Prekariat".
Auch Theaterleiter haben das Bedürfnis, ihr Lebenswerk an die kommende Generation weiter zu geben. Im Brandbrief wird die Frage gestellt, ob es eine Strategie der Münchner Kulturpolitik sein könnte, "die letzten freien Bühnen vor die Hunde gehen" zu lassen. Die Absender fordern ein "Förderungsmodell, das jungen Theaterschaffenden eine langfristige Perspektive ermöglicht".

Brandbrief 5: "Nachhaltigkeit: Ins Gegenteil verkehrt".
Die freien Spielstätten seien "egalitär und divers aufgestellt" sowie "Impuls- und Ideengeber" für eine demokratische Gesellschaft. Das geschehe sowohl lokal vor Ort als auch mit globaler Perspektive. Während das mit "viel Mühe, Energie und noch mehr Geld in staatlichen und städtischen Institutionen" versucht werde, entziehe "der Geiz der Kulturpolitik" der freien Kunst für die Weiterentwicklung unseres Zusammenlebens die Existenzgrundlage. Eine solche aber müsse dauerhaft für Münchens freie Theater sichergestellt sein.

Die Brandbriefe sind als "nüchterne Bestandsaufnahme des Status quo" gedacht

Brandbrief 6: "Nachfrage und kein Angebot: Die Bedeutung der Stadtteilkultur und der Kampf der Münchnerinnen und Münchner für ihre freien Theater".
Diese seien eine "kostensparende, innovative Alternative" zu den "höchst ambitionierten Prestigeobjekten Münchens", deren Etats sich "durchwegs im dreistelligen Millionenbereich bewegen". Ein Beleg für das Interesse des Publikums an der Arbeit der Off-Bühnen sei die "überwältigende Solidarität" der Münchner mit vielen Spenden zur Zeit der Corona-Lockdowns. Kulturpolitik müsse auch "den Willen der Münchner Bürger zur Kenntnis nehmen".

Brandbrief 7: "Geschichte: Früher war nicht alles gut, aber mehr los".
Mit dem Protest wird an die 1960er-Jahre erinnert, in der sich der freien Kunst neue Freiräume eröffneten. "München war nicht mehr Provinz", heißt es in dem Brief, sondern "die Subkultur der gemütlichen Stadt an der Isar hatte eine Strahlkraft weit über die Landesgrenzen hinaus". Eine "signifikante Aufwertung der freien Kunst" helfe, dass "München nicht nur als Wirtschaftsstandort, Fußballmetropole und Rentnerparadies wahrgenommen wird".

Brandbrief 8: "Widerstand: Totgesagte leben länger – aber nicht ewig".
Die Brandbriefe seien nicht nur Anklage, sondern "eine nüchterne Bestandsaufnahme des Status quo. Es gehe nicht nur um Geld, sondern eine generell bessere Zusammenarbeit mit Politik und Kulturreferat, wozu ein Mitbestimmungsrecht bei kulturpolitischen Entscheidungen gehöre.

Am Montag (25. September) findet um 17.30 Uhr im Rationaltheater an der Herzogstraße 31 eine Podiumsdiskussion statt. Auf der vertritt Michael Ott das Kulturreferat als Referent für die Darstellende Kunst.

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