Diana Damrau kocht der Kopf in "Lucia di Lammermoor"

Die Sopranistin über die Titelrolle von Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Am Montag kommt die Oper im Nationaltheater neu heraus
Robert Braunmüller |
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Am Montag ereignet sich im Nationaltheater ein musikalisches Gipfeltreffen: Diana Damrau, die regierende Königin des Koloraturgesangs, trifft auf die aufregendste Rolle des Belcanto-Repertoires: die Titelpartie in Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Pavol Breslik singt die Rolle des Edgardo, Kirill Petrenko dirigiert das Bayerische Staatsorchester. Es ist die erste Belcanto-Oper, die dieser Perfektionist einstudiert. Die polnische Regisseurin Barbara Wysocka, die 2012 an den Kammerspielen „Woyzeck/Wozzeck“ herausbrachte, übernimmt die Inszenierung. Die längst ausverkaufte Premiere beginnt am Montag um 19 Uhr.

AZ: Frau Damrau, wer ist diese Lucia di Lammermoor?

DIANA DAMRAU: Eine Frau mit einem sehr starken Charakter. Sie gibt ihre Liebe zu Edgardo nicht auf. Die beiden haben im Stillen geheiratet, vor Gott, aber ohne einen Priester. An diesem Versprechen hält sie fest, obwohl ihr Bruder sie aus politischen Gründen mit einem anderen Mann verheiraten will.

Das erinnert ein wenig an „Romeo und Julia“ und pflegt schlecht zu enden.

Ihr Bruder Enrico zeigt Lucia einen gefälschten Brief, in dem Edgardo angeblich von einer neuen Liebe schwärmt. Sie lässt sich überreden, Lord Arturo zu heiraten. Kurz nachdem sie den Heiratskontrakt unterzeichnet hat, kommt Edgardo herein.

Dann folgt ein wunderbares Sextett.

Da wird die Zeit angehalten. Man sieht, was in jedem Kopf vorgeht. Danach wird Lucia wahnsinnig.

Warum dreht diese Frau durch?

Sie singt: „Mi tradi la cielo e la terra“. Das heißt: „Ich fühle mich von Gott und den Menschen verlassen.“

Ist Lucia geisteskrank?

Donizetti kannte den Wahnsinn aus der eigenen Familie. Er komponierte eine Studie eines pathologischen Wahnsinns. Lucia ist bipolar. Sie hat einen sehr starken Willen, aber ein dünnes Nervenkostüm. Alles, was kommt, trifft sie gewaltig. Deshalb gehören für mich auch einige dunkle Callas-Töne dazu, auch wenn meine Stimme sonst ganz anders ist.

In der Wahnsinnsszene hat die Flöte einen großen Auftritt, aber Donizetti wollte hier ursprünglich eine Glasharmonika.

An der kommt man nicht vorbei. Wahnsinnige riechen ganz andere Dinge, sie hören andere Geräusche, wie etwa Tinnitus-Töne, die nicht verschwinden. Das stellt die Glasharmonika dar. Ihre Töne sind teilweise unangenehm, teilweise nicht fassbar, teilweise schneidend, teilweise unscharf.

Wie funktioniert das Instrument?

Das Instrument hat Sascha Reckert selbst gebaut. Er hat schon in der letzten Münchner Produktion von 1991 gespielt. Es nennt sich Verrophon und sieht aus wie eine Orgel, mit Glasstäben wie Orgelpfeifen in verschiedene Größen. Für die hohen Töne verwendet er Gläser. Die werden mit befeuchteten Fingern gestrichen.

In der Wahnsinnsszene stehen Sie allein auf der Bühne und singen gegen Maria Callas, Joan Sutherland, Edita Gruberova und die eigene neue Aufnahme an.

Ja, andererseits auch wieder nicht. Ich muss immer auf die Bühne gehen und hundertprozentig hinter dem stehen, was ich mache.

Was ist diesmal anders?

Bei vielen Aufführungen von „Lucia di Lammermoor“ funkt einem der Repertoirebetrieb dazwischen. Deshalb ist es ein Luxus, in München mit viel Zeit diese Neuinszenierung einstudieren zu können. Wir spielen die Musik ungekürzt nach einer neuen Ausgabe. Ein paar Stellen habe ich noch nie gesungen, nicht einmal in der sehr vollständigen Aufführung an der New Yorker Met. Allerdings werden einige Nummern einen halben oder ganzen Ton nach unten transponiert, weil zu Donizettis Zeit das Orchester in einer tieferen Stimmung gespielt hat. Trotzdem geht es noch an die Grenzen des Möglichen. Und ein paar Stellen klingen anders als üblich. Lassen Sie sich überraschen.

Wie arbeitet Kirill Petrenko?

Mit großem Respekt vor dem Komponisten, den Sängern und dem Textdichter. Er will von uns hören, ob das, was er sich vorstellt, auch möglich ist.

Und wie wird es auf der Bühne aussehen?

Die Inszenierung hat die Geschichte in die fünfziger und sechziger Jahre verlegt, in die Zeit von Maria Callas, Aristoteles Onassis, Grace Kelly oder Kennedy. Das passt, weil die Geschichte in einer Zeit spielen muss, in der das Patriarchat noch geherrscht hat. Ich stehe voll hinter der Inszenierung von Barbara Wysocka.

Wie wichtig ist die Tradition bei diesem Stück?

Belcanto-Opern sind genauso am Wort komponiert wie andere Werke. Die Koloratur ist kein Feuerwerk an Virtuosität, sondern ein psychologisches Ausdrucksmittel. Die Freiheit, die Donizetti oder Bellini dem Interpreten geben, führen dazu, dass Ungenauigkeiten einreißen.

Trotzdem ist diese Oper unverwüstlich.

„Lucia di Lammermoor“ ist wie die „Fledermaus“ von Johann Strauß: Man kann sie inszenieren, wie man will. Sie geht nie kaputt und wirkt immer. Im Repertoire kommt bei diesem Stück die Feinarbeit zu kurz. Man verlängert die Notenwerte, damit die Sänger und das Orchester wieder zusammenkommen. Und das verfestigt sich dann. Für diese Produktion musste ich die Rolle ganz neu erarbeiten. Mir kocht der Kopf, aber es macht Spaß.

BR Klassik überträgt die Premiere am Montag live. Die Neuaufnahme mit Diana Damrau und Joseph Calleja erschien beim Label Erato (Warner)

 

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