Deutsches Theater: "Der große Gatsby" als Tanztheater
Alles Party, oder was? Enrique Gasa Valgas "Der große Gatsby" ist eine tänzerisch flotte und musikalisch famose Sause. Mit kesser Sohle twistet sein exzellentes Ensemble schier endlos übers Parkett. Amüsierselig wird getanzt, was das Zeug hält - eigentlich fortwährend und vor allem im gesamten ersten Teil besonders herzerfrischend anzusehen.
Dort, wo sich die Langeweile der steinreichen Amerikaner der Roaring Twenties breit macht, dominiert ein sorgloses Sich-Vergnügen jedes andere mögliche Lebensgefühl. Entsprechend agieren die Interpreten und ihre partylaunige Entourage körperlich stets ausgelassen - von den Zehen- bis in die Fingerspitzen. Selten kommen Arme, Beine, Schultern oder Hüften zur Ruhe. Nur über einige der Gesichter flattern ab und an Gefühlsregungen, die ein allmähliches Zusammenbrauen von Konfliktpotenzial zumindest erahnen lassen.
Swing und erotisches Prickeln
Unter einem Werbeschild - mit kalt Richtung Publikum blickenden Augen hinter einer Riesenbrille - prescht jazzig-geschäftig die farblich uniformere Arbeiterklasse auf die Bühne. Die Problematik zwischen sozial verschiedenen Schichten wird hier angedeutet, im weiteren Stückverlauf jedoch nicht weiter thematisiert. Stattdessen verschmilzt Choreograf Gasa Valga Hingucker des klassischen Ballettvokabulars mit der Lebenslust zeittypischer Gesellschaftstanz-Elemente - und dies mit beeindruckender Selbstverständlichkeit und Virtuosität.

Der Swing und das oftmals erotische Prickeln zwischen den 15 fantastischen Tänzerinnen und Tänzern in ihren geschmackvollen Retro-Kostümen treibt die Handlung voran. Addison Ector - langbeinig wie athletisch - hat die Rolle des wortlosen Erzählers, Vermittlers und Gatsby-Freunds Nick Carraway inne. Der Abend beginnt mit einem Solo von ihm an der Bühnenrampe. Durch seine Figur wird der Zuschauer mitgenommen auf eine Reise in die Welt der Superreichen und ihrer Ausschweifungen.
Das Orchester macht Stimmung
Wenn der Vorhang aufgeht, rückt die im Bühnenhintergrund erhöht sitzende, sechsköpfige Live-Band visuell ins Zentrum. Sie sind der wichtigste Stimmungsmacher der Inszenierung und werden von der großartigen Sängerin Greta Marcolongo angeführt, der man vom ersten Ton an nur zu Füßen liegen kann. Allein der tollen Musik wegen lohnt ein Besuch von "Der große Gatsby" schon.
Vor dem Orchesterpodest, unter dem später die Autowerkstatt von George B. Wilson (Gabriel Marseglia) und seiner ihm untreuen Ehefrau Myrtle Wilson (Alice Amorotti) verortet ist, steht eine überdimensionale Chaiselongue. Dort trifft Nick auf seine Lebensabschnittsgefährtin Jordan Baker (Sayumi Nishii), seine Cousine Daisy (Camilla Danesi) und deren Mann Tom Buchanan (Martin Segeta). Nach einer Charleston-Nummer statten Tom und Nick Myrtle, Toms Geliebter, einen Besuch ab. Bei der sich anschließenden Party sind alle bald in Unterwäsche. Am Ende dieser Tanzorgie schlägt Tom Myrtle ins Gesicht. Im Stück ist das der letzte Moment, ehe - endlich - Jay Gatsby in Erscheinung tritt.

Starker Schwung
Mark Biocca führt sich hier selbst ein - als Chef der "Great Gatsby Band" und als "unser aller Gastgeber", bevor er sich ins Getümmel begibt und zu den anderen Protagonisten gesellt. Songtexte selbst werden jetzt zum Handlungsmotor. Und während Biocca zugleich tanzt und als ersten Titel "Life could be a Dream" singt, lässt sich verfolgen, wie seine frühere Liebe zu Daisy zwar neu aufflammt, seine Herzensdame aber seinen Avancen nicht völlig verfällt.
Das Tanztheaterstück "Der große Gatsby" überzeugt als schwungvolle, atmosphärisch starke Ballettshow, die das Publikum vom ersten Augenblick an mitreißt. Gasa Valga stimmt das historische Flair perfekt ab auf den Roman von F. Scott Fitzgerald. Zu Songs von Duke Ellington und Bing Crosby, zu Jazz, Blues und einigen modernen Hits rauscht Szene für Szene über die Bühne - anfangs weitgehend ungetrübt. Manchmal fühlt sich das an, als würde man vom wilden Strom eines sich immer wieder neu formierenden Party-Divertissements überspült.

Schlag auf Schlag
Fast zu langsam schälen sich die Hauptdarsteller und ihr verflochtenes Beziehungsgeflecht untereinander heraus. Eine dramaturgisch mehr Raum einnehmende tiefere Charakterisierung der einzelnen Figuren fehlt. Das hat allerdings den Vorteil, dass weder ein Traum, noch ein Rückblick die Dynamik von Gasa Valgas ganz vorlagengetreu erzähltem Handlungsfaden ausbremst. Geschickt in den Rhythmus der Solos, Paar- und Ensemblenummer eingepflegt befinden sich die gespielten Inhaltsverweise. Sich diese vorab kurz in Erinnerung zu rufen, hilft und sei angeraten. Denn im zweiten Teil passiert alles Schlag auf Schlag. Das Drama eskaliert. Ein roter Schal wird zum Symbol für Blut, Tod und Mord.
Noch bis 3. März (außer Montag) im Deutschen Theater. Karten ab 29 Euro unter Telefon 55 234 444
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