Der Wildschütz von Albert Lortzing im Gärtnerplatztheater - Die AZ-Kritik

Eigentlich ist alles bestens. Die Sänger formen ein Ensemble, so spielfreudig und homogen, als stünden sie seit Jahrzehnten gemeinsam auf der Bühne. Der Dirigent im Graben wirkt engagiert, wie man engagierter nicht sein kann. Und der Regisseur hat eigentlich auch nur gute Ideen.
Es liegt an Herrn Lortzing, dass der „Wildschütz“ im Gärtnerplatztheater nur gut, aber nicht sehr gut ist. Der Rauswurf und die Wiedereinstellung des Schulmeisters Baculus machen aus der Spieloper nicht das bittere Sozialdrama, das Lortzing-Experten und Programmheftautoren gern herbeiinterpretieren. Das inzestuös angehauchte Liebesquiproquo mag zwar an „Figaros Hochzeit“ erinnern. Aber der Graf von Eberbach ist weder ein Almaviva, noch Lortzing ein Mozart.
Lortzing mit Klischee
Diese Spieloper ist nicht böse, sie will nur spielen. Alles bleibt harmlos-liebenswürdig. Das ist zwar ein Lortzing-Klischee, aber trotzdem wahr. Der österreichische Regisseur Georg Schmiedleitner versucht ein wenig nachzuhelfen: Der Graf foltert Baculus ein bisschen. Zur Ouvertüre treiben es Hirsch und Hirschkuh. Die Jäger tragen die Gewehre zwischen den Beinen und jagen hohläugige weibliche Lemuren. Aber Gewalt und Erotik sind aus der munteren Musik nur mit Gewalt herauszuhören.
Der hinzugefügte Bühnenernst bleibt so arg theoretisch. Aber Schmiedleitner versteht es, die Geschichte bildhaft zu erzählen. Er holt heraus, dass sich der Schulmeister und sein Gretchen schon vor der Hochzeit angiften wie ein seit Jahrzehnten verheiratetes Ehepaar.
Die Billard-Szene wird zum Menschen-Schach vergrößert. Wenn sich Baculus bei der Arie „Fünftausend Taler“ zum Kapitalisten hochträumt, fährt er auf der Riesenschießscheibe gen Himmel, während unter ihm drei Teufelchen das Geld zählen (Bühne: Harald B. Thor).
Die offene Wunde
Manche Idee streift den Slapstick. Was witzig ist, aber kaum zur Musik passt, die leider nicht von Rossini ist. Dass die Oper mitten im zweiten Akt aus Gründen des zeitlichen Gleichgewichts zersägt wurde, dürfte nur Philologen stören, obwohl die Schnittfläche für eine offene Wunde in der Geschichte sorgt.
Wer zwischendurch nicht aufpasst, dem kann trotz der Mühe aller um Textverständlichkeit leicht entgehen, dass Gretchen (Csilla Csövari) und die Baronin Freimann (Mária Celeng) die Rollen tauschen, weil beide mit einem sehr charmanten ungarischen Akzent sprechen. Und ihren hellen, glasklar schönen Stimmen unterscheiden sich auch kaum.
Mathias Hausmann (Graf Eberbach) und Lucian Krasznec (Baron Kronthal) singen elegant mit einer leichten Beimischung metallischer Schärfe, was bestens zu ihrem Draufgängertum passt. Levente Páll leiht dem Baculus einen mächtigen Bass, spricht aber leider mit einem Buffo-Singsang, der sehr unnatürlich wirkt und aus der Figur eine Pappnase macht.
Margarethe Joswig als komische Tragödin
Wie Dialoge in einer deutschen Spieloper zu sprechen wären, führt Margarethe Joswig als mächtig aufgewertete Gräfin vor: Sie wuchtet als tragische Scheuche, vernachlässigte Ehefrau und Möchtegern-Jokaste viel Sophokles auf die Bretter und liefert so den Nachweis für die alte Regel, dass todernst bleiben sollte, wer wirklich komisch wirken will. Eine echte Sing-Schauspielerin, die dem Haus hoffentlich länger erhalten bleibt.
Die Drehbühne dreht sich, wie sie sich noch nie gedreht hat. Der Chor dreht mächtig auf. Die Kinder singen allerliebst. Das von Michael Brandstätter tatkräftig animierte Orchester des Gärtnerplatztheaters gibt sein Bestes. Sogar die Untermaschinierie hebt und senkt sich, als stünde, wenn nicht der „Ring des Nibelungen“, so doch mindestens der „Freischütz“ auf dem Spielplan.
Aber es ist nur Lortzing, der hier mit vollem Einsatz aller Beteiligen nur halb oder zu drei Vierteln gerettet werden kann. Seine große Zeit ist um.
Wieder heute 22. Januar, 19.30 Uhr im Gärtnerplatztheater. Auch am 30. Januar, 11., 16., 23. Februar. Karten unter Telefon 2185 1960