Kritik

"Der Schneesturm" beim Bayerischen Staatsballett: Freier im Raum

Wiederaufnahme von Andrey Kaydanovskiys "Der Schneesturm" beim Bayerischen Staatsballett.
von  Vesna Mlakar
Wird im Schneesturm seine Braut in der Kirche verpasssen: hier Jonah Cook als Vladimir.
Wird im Schneesturm seine Braut in der Kirche verpasssen: hier Jonah Cook als Vladimir. © Winfried Hösl

Dicke weiße Flocken wirbeln durch die Nacht. Dazu tobt zu gefährlich-beunruhigenden Klängen aus dem Orchestergraben eine wilde Schneesturm-Crew unheilvoll durch die schwarze Leere. 

Abenteuerliche Flucht im prächtig-emotionalen Pas de deux 

Die von Windmaschinen aufgepeitschte Wintersturmszenerie wird zwar bloß getanzt - macht aber trotzdem mächtig Eindruck. Immerhin steckt mit Vladimir eine der liebenswerten Hauptfiguren mitten im üblen Schneegestöber fest.

Der arme Tropf Vladimir ist Hals über Kopf in Marja verliebt. Ein Mädchen aus gutem Haus, das - irgendwie weltfremd-eigenwillig - seine große Liebe erwidert. Für die heimliche Hochzeit hat das junge Paar sich in einem prächtig-emotionalen Pas de deux zu einer abenteuerlichen Flucht verabredet. Also kämpft Jonah Cook mit aller Kraft gegen die unbarmherzige, ihn ständig neu zu Boden drückende Naturgewalt an.

Vergeblich. Wie schon bei der Uraufführung von Andrey Kaydanovskiys Ballett "Der Schneesturm" nach einer Erzählung von Alexander Puschkin vergangenen April verpasst er seine rechtzeitig in der Kirche eintreffende Braut.

Noch zweimal wird der "Der Schneesturm" zum Jahreswechsel in erstklassiger Besetzung über die Bühne des Nationaltheaters fegen. In der aktuellen Wiederaufnahmeserie verleiht die Erste Solistin Maria Baranova Marja trotzig-zerbrechliche Züge, die am Neujahrstag Dmitrij Vyskubenko als Vladimir ins Unglück stürzen.

Personenstarke Ensembleszenen kommen pfiffig daher

Marjas Partner im zweiten Akt ist Jinhao Zhang (Burmin) - eine Zufällen geschuldete Bekanntschaft, die ein vom Krieg traumatisierter und deshalb ziemlich durchgeknallter Osiel Gouneo (Belkin) begleitet.

Ein Dutzend Protagonisten und überraschende Wendungen prägen die Handlung. Nach wie vor funktioniert Kaydanovskiys choreografische Adaption des tragisch-komischen Stücks. Die personenstarken Ensembleszenen allerdings kommen im Vergleich zur Corona-bedingten Online-Premiere nun viel pfiffiger und weniger steif daher. Vor allem beim Ball im ersten Akt konnte der Choreograf das damals im Lockdown so strikt verordnete Distanzverhalten der verschiedenen miteinander interagierenden Gruppen aufbrechen und die Tänzer dank neuer Raumweg-Varianten besser durchmischen.

"Der Schneesturm": Raumfüllende Klangbilder

Auffallend toll verändert hat sich zudem das schon bei der Uraufführung recht detailreiche Hörerlebnis. Die eigens von Lorenz Dangel komponierte Originalmusik spielt das Bayerische Staatsorchester jetzt in einer trefflich überarbeiteten Fassung, die Gavin Sutherland fulminant dirigiert. Da verstärken live zusätzliche Streicher, ein Horn und eine Bass-Klarinette den passagenweise auch von elektroakustischen Einsprengseln originell bereicherten Sound. Die das Publikum mitreißenden Klangbilder wirken noch raumfüllender und instrumental differenzierter.

Da bleibt den Tänzerinnen und Tänzern dieses herrlich modernen Ballettabendfüllers nur noch zu wünschen, dass die gegenwärtige Auslastungsobergrenze von 25 Prozent möglichst bald fällt. Sie ist und bleibt ein Stimmungskiller.


Weitere Vorstellungen am Neujahrstag, 18 Uhr. Infos und Karten unter Telefon 21 85 19 20 und www.staatsballett.de

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