Der Porno für den feinen Herrn

Provinzieller Kitsch? Der guten alten Operette tut man Unrecht, ihre Pariser Anfänge um 1850 sind kolossal witzig, charmant – und vor allem frivol. Das zeigt eine Ausstellung im Theatermuseum
von  Christa Sigg

Dein ist mein ganzes Heeeeerrrzzz...”, schallt es mindestens durch die erste Etage. Wenn nicht gerade eine besonders enervierte Aufsicht die Stopptaste gedrückt hat. Man mag es ihr kaum verdenken, die Besucher wählen dauernd den Richard-Tauber-Ohrwurm aus Lehárs „Land des Lächelns”, und das kann beim zehnten Mal schon auf den Keks gehn. Aber die „Jukebox” gibt der schwungvollen „Welt der Operette”, die sich gerade im Theatermuseum am Hofgarten ausbreitet, den Extra-Kick.

Denn man guckt sich tänzelnd durch die minutiös aufbereitete wie fein goutierbare Historie eines Genres, das es heute herzlich schwer hat. Und entweder in peinsam provinziellem Brachialkitsch verwalzert oder gleich gehäkselt und damit völlig entzaubert wird. Schade ist das, die gute alte Operette hat herrlich kritisches Potenzial. Das zeigt sich gleich in den ersten Abschnitten der Ausstellung, die mit interessanten Zurechtrückungen aufwartet. Denn so kreuzbrav, wie uns der unverwüstliche Rudolf Schock und die dezent glamouröse Margit Schramm im Foyer entgegen lächeln, ging’s hundert Jahre früher nun wirklich nicht zu.

Im Gegenteil: Die französischen Anfänge der Operette waren mindestens frivol. Und nicht nur nebenbei wurde die feine Gesellschaft mächtig aufs Korn genommen. Allerdings mit Charme, Witz und – das hat man in den 1930er Jahren sehr bewusst vergessen – satter Erotik. Die trieb die Herren Scharenweise ins Theater, der Cancan in Jacques Offenbachs „Orphée aux Enfers” präsentierte nie gesehene Beinfreiheit. Und noch ein bisschen sehr viel mehr, das imstande war, die ausschweifenden Träume der Pariser Jeunesse dorée ins Unermessliche zu beflügeln. Da war es grad egal, dass Superstar Hortense Schneider – la Snédèr – stimmlich nicht so ganz überzeugte. In Émile Zolas Roman „Nana” ist das raffiniert für die Ewigkeit festgehalten.

Bald schwappte die frivole Erfolgswelle an die Donau, 1860 hatte am Theater an der Wien Franz von Suppés „Pensionat” Premiere. „Pikant” lautete die Umschreibung in der Presse, damit wusste das Publikum, was Sache war, und tatsächlich standen die folgenden Wiener Projekte denen Offenbachs an pornografischem Gehalt kaum nach. Erst recht lesen sich die Briefe von Operettenkönig Johann Strauß an seinen Verleger wie ein Best Of der Obszönitäten.

Aber irgendwann wurde es auch für die allzu leichtfüßige Muse ernst. Bereits in den 1880er Jahren sollte dem „blödsinnigen” Franzosenzeug „Volkstümliches und Vaterländisches” entgegengesetzt werden. Der Erste Weltkrieg und vor allem die Nationalsozialisten beförderten schließlich die Wohnzimmertauglichkeit des gesamten Genres. Darüber könnte man sich fast amüsieren wie über den Höschenmaler vom Vatikan. Aber Hitlers Faible für die Operette hatte bekanntlich katastrophale Kehrseiten. Das Gros der „Ausführenden” passte nicht ins Konzept der Nazis, ein Emigrationsdrama jagte das nächste KZ-Desaster. Mit gruselig ironischen Zwischenfällen: Die verbliebene Gärtnerplatz-Crew durfte am 21. Mai 1941 im Lager Dachau für einen „heiteren Nachmittag” sorgen. Da hatte der Spaß nun wirklich ein End. Mit den bis heute spürbaren Auswirkungen.

Theatermuseum in den Hofgartenarkaden, Galeriestr. 4a, bis 10. März 2013, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr

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