"Der Menschenfeind" im Volkstheater: Lauter nette Leute
München - Für die Selbstdarsteller und Wichtigtuer dieser Gesellschaft gibt es auf der Bühne ein Podium, auf das man würdevoll über eine Treppe auftreten kann, das sich aber auch ganz sportlich mit einem Sprung entern lässt.
Meistens haben es die elegant gekleideten Damen und Herren sehr eilig. Nur der Dichter Oronte macht aus seinem Vortrag eine ganz große Nummer. Er will ausdrücklich und ausgerechnet von Alceste wissen, wie dieser sein Sonett findet. Denn dessen Urteile sind ebenso berühmt wie berüchtigt.
Bühnenvorhang bleibt während der Vorstellung geschlossen
Vermutlich hatte Oronte geglaubt, er könne den prinzipiell pampigen Alceste von seiner Kunst überzeugen, aber dessen Literaturkritik fällt naturgemäß vernichtend aus. Der schwarze Vorhang der Bühne im Volkstheater bleibt dabei stets geschlossen. Nur ganz zu Beginn ist er offen und erst zum Schluss hebt er sich wieder.
Da wird der Blick frei in einen Bühnenraum. Der aber ist hinten wiederum begrenzt durch eine Mauer, durch eine große Öffnung aber meint man dann doch in ein Draußen zu schauen. Von dorther schneit verheißungsvoll Flitter herein. Doch auch dort hinein, draußen herrscht tiefer Nebel, dessen Undurchdringlichkeit aber manchmal golden leuchtet.
Die Feierbiester davor wollen aber auch gar nicht raus, sondern wer sich gerade nicht im offenbar kurz vor dem Abbruch befindlichen Ballsaal aufhält, nimmt seinen Platz vorne im Zuschauerraum in der ersten Reihe ein.
Gestaffeltes Bühnenbild wirft Rätsel auf
Dieses gestaffelte Bühnenbild von Viktor Reim bleibt das Rätselvollste an der Inszenierung von Philipp Arnold auf der großen Bühne des Volkstheaters, die ansonsten eher geheimnislos und in sehr geschmeidigen 100 Minuten abschnurrt. Denn man könnte sich diese schicke Clique, die Arnold aus Molières höfischer Welt in das Großbürgertum einer nicht datierten Gegenwart überführte, weitaus nerviger und aggressiver vorstellen.
Aber Alceste, der als "Der Menschenfeind" irgendwann einmal von sich feststellt, alle und wirklich alle zu hassen, ist beim schlaksig hochgewachsenen Janek Maudrich ein ganz netter Kerl, der eine kleine Marotte hat. Er spielt vor allem den "verliebten Melancholiker", mit dem Molière das 1666 uraufgeführte Stück untertitelte. Der Aufrichtigkeitsfundamentalist verliebt sich ausgerechnet in die koketteste Dame seines Bekanntenkreises.
Komödie mit einem offenen Ende
Célimène ist eine junge und gut aussehende Witwe, die einfach nur Spaß haben will. Anne Stein versprüht ihren Charme wohl dosiert und geradezu entspannt. Natürlich geht die Beziehung des It-Girls mit der von jeder nur höflich gemeinten Plauderei angeekelten Spaßbremse, die von einer Zweisamkeit in der Einsamkeit träumt, nicht gut aus.
Die Komödie bleibt am Ende und nach einem alle schockierenden Skandal um einen geheimen Brief offen. Célimène hat sich nun mit ihrem niedergeschriebenen Spott über ihre Freunde gesellschaftlich genau so unmöglich gemacht wie Alceste mit seinen maßlosen Ansprüchen an die Moral anderer.
Ein leichtfüßiger Abend, wenn auch nicht ganz nach Molière
Die endgereimten Dialoge in der Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens aus dem Jahr 1983 perlen amüsant über die Bühne und das Ensemble ist eine sympathische Truppe, in der Jonathan Müller als Clitandre sogar zwischendurch überraschende Zaubertricks aus dem Ärmel schüttelt.
Das ist ein schneller und leichtfüßiger Abend, aber weniger nette Leute wären halt doch mehr Molière.
Münchner Volkstheater, 2., 9., 16., 23. Mai, 3., 4. Juni 19.30 Uhr, 089/ 5234655
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