"Der Entrepreneur": Ökonomie im myzelbasierten Wald
Vor genau 50 Jahren hat dieses Experiment schon jemand in der Wirklichkeit der kapitalistischen Bundesrepublik versucht. 1972 übereignete Hannsheinz Porst seine florierende Fotogeschäft-Kette der Belegschaft. Das funktionierte, mit allen Aufs und Abs, die das Geschäftsleben so mit sich bringt, immerhin 30 Jahre lang.
Porst wurde damals, je nach Standpunkt, als Sozialist bewundert oder beschimpft. Heutzutage geht es nicht mehr nur um den Wettbewerb zwischen den Wirtschaftssystemen, sondern die Menschheit lernt gerade, dass es um alles geht – zumindest, was ihre eigene Existenz geht.
"Pilze sind die Pioniere der Bioökonomie und der Nachhaltigkeit in der Natur"
Deshalb hat Kevin Rittberger einen Unternehmer erfunden, der nicht nur die totale Mitbestimmung, sondern auch die Rettung der Erde will. Vor dem Marstall liegen Baumstämme mit mahnenden Wunden, die ihnen der Borkenkäfer zufügte. Im Foyer baute das Ausstattungsduo Jana Findeklee und Joki Tewes eine kleine Ausstellung auf, in der sie die von der TU Dresden entwickelten und vollständig kompostierbarer Materialien präsentieren, die sie in in ihrem Bühnenbild verbauten.
Die dafür erforderlichen Prozesse sind "myzelbasiert", denn, so heißt es in einem Programmheftbeitrag einer Dresdener Wissenschaftlerin, "Pilze sind die Pioniere der Bioökonomie und der Nachhaltigkeit in der Natur". Als Pionier sieht sich auch "Der Entrepreneur", der Rittbergers Text den Titel gibt. Der namenlos bleibende Unternehmer, der schon autonom fahrende Busse baute, die ihre Energie über die Stoßdämpfer generieren, forstet neu auf, bohrt Brunnen und adoptiert benachteiligte Kinder.
Die Assoziation, die von Pilzen zu Bewusstsein erweiternden Drogen führt, ist allerdings falsch, auch wenn Rittberger diese Fährte zunächst auslegt: In einem Prolog deliriert der Unternehmer unter dem Einfluss vielfältiger chemischer Substanzen unter anderem darüber, ob man sich im Lockdown bei wilden Partys vergnügen dürfe. Robert Dölle macht das mit virtuosem Furor, aber der Aufritt bleibt folgenlos, denn er hat mit dem Weiteren nichts zu tun.
Weder Koks noch Alkohol für den Entrepreneur
Der Entrepreneur trifft von nun an seine weitreichenden Enscheidungen völlig nüchtern. Er rührt weder Koks noch Alkohol an. Die Flaschen von hochpreisigem Schaumwein, die er früher mit dem Audi-Vorstand leerte, verschenkt er an zwei Mitarbeiter. Aber die sind enttäuscht und ziehen ihrem Ex-Chef die teuren Flaschen über den Schädel, denn sie wollen ihre gewohnte Arbeit wieder haben.
Der Chauffeur zeigt dabei sogar so etwas wie Standesbewusstsein: Er wolle nicht eine teilzeitarbeitende Mutter zum Kindergarten fahren. Sein Selbstbewusstsein und auch den Spaß am Job bezog er bisher daraus, Menschen mit Macht und Einfluss zu bewegen. Wenig Freude bereitet der Entrepreneur auch der Familie, denn Ehefrau und Tochter sehen ihr Vermögen in den guten Taten versickern. In dieser Verschmelzung von Ökonomie und Ökologie ist dies das Theaterstück zum Hier und Jetzt, könnte man meinen.
Doch schon die Idee von Regisseurin Nora Schlocker, die Rollen unter den sieben Darstellerinnen und Darstellern weiter reichen zu lassen, erweist sich als wenig hilfreich in einem Stück, das ohnehin von unserer unübersichtlichen Epoche zu erzählen versucht. Aber nach dem brisanten Start verläuft sich die Erzählung im myzelbasierten Wald, der im Verlauf von fleißigen Overallträgern gerodet wird, in statischem Erklärtheater zwischen intelligenter Süffisanz und schwer lastendem Pathos. Dem eloquenten Diskurs folgt das schlaue Referat und umgekehrt. Es passiert das, was fast immer bleibt, wenn es um die Weltrettung geht: Eine verpasste Chance mehr.
Marstall, Di, 13. Dezember, 19.30 Uhr; 26. Dezember, 18 Uhr; 8. Januar, 19 Uhr; 24., 26. Januar, 20 Uhr, Telefon 089/21851940