Kritik

"Der Drang" im Marstall: Grellbunter Sexual-Schwank

Im Hochdruckverfahren: Lydia Steier inszeniert Franz Xaver Kroetz' "Der Drang" im Marstall.
von  Mathias Hejny
Nicola Kirsch (links), Liliane Amuat und Christoph Franken in "Der Drang".
Nicola Kirsch (links), Liliane Amuat und Christoph Franken in "Der Drang". © Foto: Birgit Hupfeld

Der Dichter war zur Premiere anwesend und verteilte zum Schlussapplaus Kusshändchen. Dem Vernehmen nach soll der 76-Jährige danach lange gefeiert haben. Am Münchner Staatsschauspiel hat Franz Xaver Kroetz wieder ein Zuhause gefunden: Zuerst mit seiner "Agnes Bernauer" aus dem Jahr 1977, das Nora Schlocker im Cuvilliéstheater inszenierte. Nun folgte "Der Drang" im Marstall, dessen Urauffühung 1994 gleich gegenüber bei den Kammerspielen stattgefunden hat.

Über 20 Jahre Arbeit stecken im Werk

Damals spielten unter der Regie des Autoren Sibylle Canonica, Franziska Walser, Horst Kotterba und Edgar Selge die im Samenstau feststeckenden Vier, und schon damals hatte Kroetz über 20 Jahre an dem Werk gearbeitet. "Der Drang" ist eine Überarbeitung des Komödien-Versuchs "Lieber Fritz", der schon 1971 geschrieben und 1975 uraufgeführt wurde - allerdings im hessischen Darmstadt, doch durch Ruth Drexel und Hans Brenner mit einer bayerisch-tirolischen Volkstheater-Note.

Der Fritz (Vincent Glander), um den es geht, kommt aus dem Gefängnis zurück, wo er wegen Exhibitionismus für einige Zeit inhaftiert war. Er zieht bei seiner Schwester Hilde (Nicola Kirsch) und ihrem Ehemann Otto (Chrisoph Franken) ein, die in ihrer Friedhofsgärtnerei noch eine tüchtige Kraft gebrauchen können. Bisher war Mitzi (Lilian Amuat) das einzige Personal im offenbar gut laufenden Kleinunternehmen.

Gärtnerei lässt triebgesteuerte Fantasien aufblühen

"Ich brauch nix, wo das Sexuelle eine Rolle spielt", versucht Fritz gleich zu Beginn jede Spekulation über sein an die Öffentlichkeit drängendes Sexlife im Keim zu ersticken, denn der Drang ist medikamentös kontrolliert. Dafür blühen in der Gärtnerei die triebgesteuerten Fantasien. Otto verachtet zwar Leute, die ihr Geschlechtsteil herumzeigen, will das schwägerliche Ding aber mal sehen. Beim Vergleich der Mächtigkeit der Gemächte zieht Otto allerdings deutlich den Kürzeren.

Mitzi träumt sich den ruhig gestellten Exhibionisten zum erregend perversen Sadisten zurecht. Der bleibt unnahbar und vergewaltigt lieber heimlich seine Plüschteddybären. Deshalb fängt sie etwas mit ihrem Chef an, der auf Analverkehr steht, den die Gattin Hilde standhaft verweigert. Das ist noch zotiger, als es sich liest, und lässt auch in unseren Zwanziger Jahren die Geilen Siebziger des vorigen Jahrhunderts durchschmecken.

Lydia Steier gibt Regie-Debüt im Schauspiel

Die amerikanische Regisseurin Lydia Steier ist aus dem Opernfach und gibt mit dem süddeutschen Sexual-Schwank ihr Debüt im Schauspiel. Dabei hat sie mit Kroetzscher Sozialkritik und tragödisch umflorter Systemskepsis, die nicht nur subkutan darin steckt, nichts im Sinn. Mrs. Steier haut, um im analen Bereich zu bleiben, auf die Kacke. Dem Bayerischen Fernsehen hatte sie im Vorfeld verraten, dass sie Deutsch mit den sechs Folgen von "Kir Royal" und Baby Schimmerlos gelernt habe.

Mit dem Kroetzschen Text ging sie unbefangen um und zauberte einen erotomanen Grand Guignol auf die Bühne. Auf die stellte Ausstatter Blake Palmer ein Karussell, das drehbar die enge Einfamilien-Behausung ist. Seine Kostüme sind Fat Suits mit besonderer Berücksichtigung der Genitalien.

Aber eine Generation nach den "Schulmädchen-Reports" und vor einem Theaterpublikum, das schon alles gesehen hat, ist solche Kroetz-Interpretation eine Möglichkeit, die Flucht nach vorne anzutreten. Die führt auf der Tonspur zunächst noch weiter zurück in die niedlich verklemmte Schlagerwelt von Conny und Peter.

Nur wenige Sätze erzeugen das große Drama

Aber zu den Qualitäten des Franz Xaver Kroetz gehört seit jeher, immer wieder und nur mit der Grammatikschwäche seiner Figuren in nur zwei bis drei Sätzen das ganz große Drama aufzureißen. Und mit der entfesselten Komödiantik des darstellenden Quartetts lassen sich unter brüllendem Gelächter die Unterdrückungsmechanismen knirschen hören, die selbst unter der sexuellen Befreiung lauern.


Marstall, 21., 22. März, 11., 28. April, 20 Uhr, Tickets: 089/ 21851940

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