Der Bergsteiger Heiner Müller

Ab Freitag müllert es im Residenztheater. Eine junge Regisseurin sagt, was ihr Auftrag ist und warum ihre Naivität eine große Kraft ist
Jasmin Menrad |
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Das Residenztheater will dem FC Bayern mit einem Heiner-Müller-Festival Konkurrenz machen. Dort inszeniert eine junge Regisseurin „Der Auftrag“ aus dem Jahr 1979: Drei Revolutionäre werden nach Jamaika geschickt, um einen Sklavenaufstand anzuzetteln. Aber bevor sie den Auftrag erfüllen können, kommt Napoleon an die Macht und erklärt ihn für obsolet.

Heiner Müller lebte in Ost-Berlin, doch seine Dramen tauchten erst Jahre nach ihrer Entstehung auf den DDR-Bühnen auf. Seit Ende der 1980er Jahre arbeitete Müller auch als Regisseur. Seine Inszenierung von Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ läuft noch heute am Berliner Ensemble, dessen Leitung er 1992 übernahm. 1995 verstarb Müller an Speiseröhrenkrebs.

AZ: Frau Tosato, wie kommen Sie als junge Frau auf die Idee, den DDR-Müller zu inszenieren? Wurde das von der Schule vorgegeben?

MAGALI TOSATO: Nein, das war meine Entscheidung. Unsere Regieklasse hatte im Sommer einen Workshop mit Dimiter Gotscheff, in dem wir „Zement“ bearbeitet haben, was jetzt im Residenztheater gezeigt wird. Die besondere Sprache von Müller hat mich gefangen genommen. Sie dient nicht nur der Kommunikation, sondern entwickelt einen Eigenwert, eine eigene Kraft, die die Realität in Frage stellt und neu erschafft.

Haben Sie sich bei Ihrem „Auftrag“ an diese Müller-Sprache herangetraut und den Text bearbeitet?

Ich habe gekürzt, aber sonst blieb der Text unberührt. Wir haben noch Videos gedreht und einen eigenen Text geschrieben, um uns mit den Fragen zu konfrontieren: Welchen unbekannten Auftrag erfüllen wir täglich? Für wen erfüllen wir welchen Auftrag? Welchen Auftrag gibt man sich selbst?

Ein sehr persönlicher Ansatz.

Wir haben in Berlin eine Performance installiert, bei der wir Menschen befreien sollten. Zum Beispiel haben wir in Wedding Menschen auf der Straße gefragt, ob sie unter Winterdepressionen leiden. Eine kleine, alberne Frage. Dann sind wir den großen Geschichten begegnet. Ein Asylbewerber hat uns erzählt, dass er von seiner Abschiebung informiert wurde. Da gab es diesen Riss und der Schauspieler wurde aus seiner Performance gerissen, alles war plötzlich real.

Müller zeigt Risse, schreibt vom „Joch der Freiheit“ und „Heimweh nach dem Gefängnis“. Haben Sie mit diesen Widersprüchen gekämpft?

Ja, oft sind die poetischsten, gewaltigsten und gewaltvollsten Passagen die schwierigsten und so komplex, dass wir das kaum mitdenken konnten. Debuisson verzichtet auf alles, um die Revolution zu machen. Dann begegnet er der allegorischen Figur ErsteLiebe, die er für die Revolution verlassen hat. Sie ist die einzige Frauenfigur, eine Eva, und die Stimme, die sagt, dass es auch ein Leben gibt, dass er genießen kann. Sie steht für den Verrat. Wir haben uns gefragt, was es als Frau heißt, das zu sprechen.

Sie sagen immer „Wir“. Ist das bei studentischen Produktionen üblich, ein Wir-Gefühl zu transportieren?

Als wir mit dem „Auftrag“angefangen haben, waren wir mitten in den Protesten für den Neubau der Ernst-Busch-Schule. Wir haben mit künstlerischen Mitteln politische Entscheidungen beeinflusst und ein Kollektiv-Gefühl entwickelt. Das tragen wir in die Produktion. Das Stück fragt permanent: Was ist unser Auftrag? Wir haben für uns eine Antwort im Kleinen gefunden.

Was ist denn Ihr Auftrag?

Wir wollen anders Theater machen in einem gemeinsamen Prozess und durch die Fiktion an der Realität rütteln. Das klingt naiv, aber diese Naivität ist eine Kraft, die wir Jungen haben.

Ein Wochenende Heiner Müller, danach wird Ihnen der Kopf vermutlich dröhnen.

Ich hoffe es. Das Festival ist eine Herausforderung und soll Mut zu großen Themen und Komplexität haben. Das wird wie Bergsteigen: Es macht erst richtig Spaß, wenn es groß ist.

 

Magali Tosato: Die 25-jährige Schweizerin ist in der dritten Regieklasse der Berliner Theaterhochschule Ernst Busch.

Auszüge aus dem Festival-Programm:

 

Freitag, 20 Uhr: Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaften mit Argonauten/Mommsens Block, Residenztheater (auch Samstag). 22 Uhr: Desirevolution, Marstall

Samstag, 15 Uhr: Open Stage, Marstall Café (auch Sonntag) Eintritt frei. 19 Uhr: Der Auftrag, Marstall. 21 Uhr: The time is out of joint, (Film), Marstall Café, Eintritt frei. 23 Uhr: Die Hamletmaschine, Marstall.

Sonntag, 12 Uhr: Publikumsgespräch zu Auftrag und Die Hamletmaschine, Marstall Café. 19 Uhr: Zement, Residenztheater. Karten 2185 1940

 

 

 

 

 

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