David Alden über "Semiramide" im Nationaltheater

Er hat an der Bayerischen Staatsoper zahlreiche Händel-Opern inszeniert, den „Ring des Nibelungen“ des verstorbenen Herbert Wernicke vollendet. David Alden war der zentrale Regisseur der Ära Peter Jonas. Nun kehrt er ans Nationaltheater zurück – mit Gioachino Rossinis Oper „Semiramide“. Die Premiere am Sonntag um 18 Uhr und die Folgevorstellungen sind bereits ausverkauft.
AZ: Herr Alden, Händels „Orlando“ war vor über zehn Jahren Ihre letzte Münchner Inszenierung. Was haben Sie seitdem gemacht?
DAVID ALDEN: Unglaublich viel – nur nicht hier. Nur Wagner nicht. Erst in der kommenden Saison inszeniere ich „Lohengrin“ an der English National Opera in London. Das ist meine Heimat-Company. Barockopern spielen derzeit in meiner Arbeit eine geringere Rolle. Dafür ist der romantische Belcanto von Gioachino Rossini, Gaetano Donizetti und Giacomo Meyerbeer hinzugekommen.
Damit sind wir bei Rossinis „Semiramide“.
Es macht viel Spaß, mit bestimmten Sängerinnen zu arbeiten – wie hier mit Joyce DiDonato. Sie singt die Titelpartie in Rossinis letzter Opera seria. Da steckt noch viel 18. Jahrhundert drin – unter anderem durch die Vorlage von Voltaire.
Das ist eine klassische Tragödie in der Tradition von Corneille und Racine, nur nicht so gut. Rossini komponierte ein Jahrhundert nach Händel. In seiner Zeit gibt es wieder streng stilisierte musikalische Formen. Die Sänger sind die Alleinherrscher, um die sich alles dreht. Wiederholungen dürfen wie bei der Barockmusik individuell verziert werden.
Trotzdem ist es eine andere Welt.
Händels Charaktere sind sehr individuell, mit einer besonderen Psychologie. Rossini unterscheidet in seiner Musik kaum zwischen Seria und Komödie. „Semiramide“ spielt in einer monumentalen mythischen Welt. Hinter ihre Regeln und ihre Architektur muss man blicken, um dramatische Situationen zu entdecken.
Die Konstellation der Oper erinnert an die Geschichte von Ödipus.
Semiramide hat auch etwas von Gertrude in „Hamlet“ und Lady Macbeth. Die Geschichte erzählt den Albtraum einer starken Herrscherin Sie herrscht totalitär in einer Männerwelt und leidet zugleich unter einer unglaublichen Schuld, weil sie ihren Mann vergiftet hat. Sie will wieder eine Frau werden, nicht nur Herrscherin sein und verliebt sich in einen jungen Offizier, ohne zu wissen, dass es sich um ihren Sohn handelt.
Der junge Mann, Arsace, ist eine Hosenrolle. Eine Erinnerung an die Kastraten?
Die waren 1824 schon abgetreten. Es ist einfach eine Hosenrolle, ein junger Mann, der von einer Frau dargestellt wird. Arsace ist nicht, wer er denkt zu sein. Er hat den Auftrag, den Mord an seinem Vater zu rächen und erfährt erst spät von der fatalen Rolle seiner Mutter. Mich erinnert er an Orest im griechischen Mythos.
Bei den Festspielen von 1990 wurde die Oper konzertant im Nationaltheater aufgeführt. Den stärksten Eindruck auf mich machte damals die mit Samuel Ramey besetzte Bass-Rolle.
Er war der erste, der den Assur wieder singen konnte. Ramey hat sehr zur Wiederentdeckung dieser Oper beigetragen, ähnlich wie davor Joan Sutherland als Semiramide. Aber historisch gesehen, ist ein dramatischer Koloratursopran nicht die richtige Besetzung. Rossini komponierte die Rolle für seine Frau Isabella Colbran. Sie hatte eine tiefere Stimme. Die Interpretation der Figur lief nicht über die Koloraturen, sondern über den Text. Die Colbran war eine Tragödin. Ein hoher Sopran verfälscht das. Joyce DiDonato wird da eine andere Farbe hineinbringen.
In „Semiramide“ tritt ein Geist auf. Und die Hängenden Gärten von Babylon kommen auch vor, von denen niemand weiß, wie sie ausgesehen haben.
Ich mag Geister und Alpträume sehr. Und für die Hängenden Gärten haben wir auch eine Lösung.
Wann und wo spielt die Geschichte bei Ihnen?
Ungefähr in der Gegenwart, in einem totalitären Staat irgendow zwischen Nordkorea und Bagdad. Das ist nicht weit weg von Babylon. Eine ästhetische Collage.
Hat es Semiramis wirklich gegeben?
Das meiste sind Gerüchte griechischer Schriftsteller. Bocaccio hat sie dann in der Renaissance weiter ausgemalt. Sie soll den Keuschheitsgürtel erfunden haben. Und die Kastration, aber nicht für Sänger.
„Semiramide“ ist eine lange Oper. Was haben Sie gekürzt?
Etwa 15 bis 20 Minuten, ein paar Chöre, Rezitative und Wiederholungen.
Im Moment kann man keinen Amerikaner treffen, ohne ihn nach Trump zu fragen.
Ich lebe seit über 20 Jahrne in London. Alle meine Inszenienierungen drehen sich irgendwie um Donald Trump – etwa zuletzt Meyerbeers „Les Huguenots“ in Berlin – eine Oper über Fanatismus und Dämonisierung einer Glaubensgruppe. Auch die Machtkämpfe in „Semiramide“ sind sehr aktuell. Zwischen mir und Trump gibt es allerdings einen Unterschied: Ich liebe die Presse.
Die Premiere von „Semiramide“ wird live auf BR-Klassik übertragen, die Vorstellung 26. Februar ab 17 Uhr als Livestream auf Staatsoper.tv