Das Zerplatzen der Blase
Radikal jung: Milo Raus Re-Enactment von „Breiviks Erklärung“ wurde im Stadtmuseum gezeigt – und man fragt sich, wo der Skandal ist.
MÜNCHEN - Eine Schauspielerin, die ihren Regisseur dazu antreibt, eine Lesung nicht nur einmal, sondern immer wieder zu veranstalten, dürfte es selten geben. Sascha Ö. Soydan hat genau das gemacht, wie sie beim Publikumsgespräch im Stadtmuseum erzählt. Sie hat ihren Regisseur Milo Rau immer wieder dazu motiviert, die Wiedergabe von „Breiviks Erklärung“ nach der Uraufführung in Weimar auch in anderen Städten, in Karlsruhe, Basel, jetzt in München und im Mai dann in Mainz stattfinden zu lassen.
Überzeugungsarbeit bedarf es an allen Stellen: Rau, der mit seinem International Institute of Political Murder mittlerweile hohen Bekanntheitsgrad hat und zuletzt die Pussy-Riot-Prozesse in Moskau nachstellte, musste schon bei der Erstaufführung in Weimar die Erfahrung machen, dass Zusagen nicht sicher sind. Das Deutsche Nationaltheater Weimar weigerte sich einen Tag vor der Premiere, „Breiviks Erklärung“ zu zeigen, man musste in ein Kino umziehen. In Basel war es ähnlich, und auch in München sprang das Haus der Kunst kurzfristig ab. Das Stadtmuseum stellte sich als Aufführungsort zur Verfügung, nachdem Festivalleiter Kilian Engels bei anderen möglichen Ausweichorten abblitzte.
Das Haus der Kunst und andere haben Befürchtungen, sind gleichzeitig offenbar schlecht informiert: Die Verteidigungsrede, die Massenmörder Anders Behring Breivik am zweiten Tages des Prozesses gegen ihn vor dem Osloer Gericht am 17. April 2012 vortrug, ist ein rechtsradikales Pamphlet. Raus 70-minütiges Re-Enactment hingegen ist schon durch die Wahl der deutsch-türkischen Schauspielerin Sascha Ö. Soydan als Rednerin offensichtlich mit aufklärerischer Absicht gebrochen. Äußerlich könnte die Entfernung nicht größer sein. Das Kaugummikauen, das Trinken aus der Wasserflasche, ihre Blicke ins Publikum (unter ihnen war Werner Herzog) sind deutliche Zeichen innerer Distanz.
Breivik attackiert in seiner Erklärung den Kulturmarxismus und den „schädlichen Multikulturalismus“ im Deckmäntelchen der Wissenschaftlichkeit, zitiert historische Persönlichkeiten und Statistiken und würfelt alles so krude zusammen, dass der Text sich selbst als Machwerk entlarvt.
Die vorherige Skandalisierung erweist sich während des Vortrags und danach erst recht als unnötig. Man hört zu, wie rhetorische Seifenblasen zerplatzen. Die Diskussion über den Text ist dabei fruchtbar, allein wenn man sich überlegt, wer ähnliche Phrasen von sich gibt. Breiviks Extremismus, das wird beim Publikumsgespräch betont, ist einer aus der gesellschaftlichen Mitte. Nach „Breiviks Erklärung“ ist man nochmal wacher dafür.
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